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„...und du bist raus“

■ Dazugehören, Ausgrenzen, Hineinwollen: Ein Blick in den Choreografie-Workshop im Freiraum Theater / Freitag Aufführung

Fotos: Tristan Vankann

Viel Zeit bis zur Aufführung ist nicht mehr. Das Proben-Ambiente erinnert an Filmszenen aus „Carmen“ — nur daß die Tänzerinnen nicht diese Glamour-Anzüge mit abgestimmten Stirnbändern und malerisch verrutschten Wadenwärmern tragen, sondern T-Shirts und leichte Trainingshosen.

Am Rand warten Taschen mit Mineralwasser und Äpfeln auf die erste Pause nach zwei Stunden Anstrengung. Es riecht angenehm nach Damen-Umkleide: nach Kosmetika und fein nach Körper-Dunst. Die acht Tänzerinnen — sieben Frauen, ein Mann — halten sich kerzengerade, trainieren für sich einzelne Stellen. Eine bringt probehalber ihren Körper in eine perfekte Schräge, vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Eine übt: kraftvoll losrennen, bremsen, abprallen — aber alles auf drei Metern Bühne.

Michael Diekamp und Barbara

Passow beobachten als Regie (-Assistenz) mit Argusaugen und korrigieren, geben Anregungen: Du kannst den Ablauf noch nicht im Schlaf, das muß sein! Laß die Hände viel langsamer sinken, wenn du in dich zusammenfällst, das fängt bei den Fingerspitzen an! Bleib in Bewegung hinter der Kulisse, sonst wirkt dein Auftritt nicht echt! Nach dem Aufwärmen ein Durchlauf „mit Klamotten“, wie später auf der Bühne, das heißt Jeans und blasse Oberteile, alle bewußt ziemlich ähnlich, und barfuß. Der Boden ist kalt.

Das Stück hat ein Thema und einen Inhalt, aber es erzählt keine chronologische Geschichte. Es zeigt: Da wird immer wieder eine ausgegrenzt, die bleibt am Rand; die kann sich so oder anders verhalten, die kann es schaffen oder nicht. Die Gruppe ist stark. Sie rennt los, hat gemeinsame Figuren, findet zusammen, flüstert, zählt aus: Ene mene mu... Eine gerät abseits, gibt auf, wird klein, ein Häufchen am Boden. Die Gruppe: ungerührt, unbewegt. Diese eine, die jetzt die andere ist, rennt der Gruppe hinterher, versucht ihre Schritte, findet den Anschluß, den Rhythmus nicht.

Die Choreografie ist genau und vielfältig, entstanden aus Konzeption und ausgewählten, schließlich festgelegten Improvisationen. Seit acht Wochen proben diese Besessenen im Freiraum-Theater täglich einen ganzen Vormittag, lernen hinsehen, gestalten, zusammenfügen, auswählen. Die meisten haben keine Tanz-Ausbildung, aber diese selbstquälerische, ehrgeizige, disziplinierte Bereitschaft. Die Tänzerinnen zeigen mit ihren Körpern: Die Gruppe, das sind einzelne Punkte, die zusammen Linien bilden, kleine Gruppen, fast wie eine einheitliche Person. Die Gruppe ist brutal und zugleich verführerisch. Einzelne werden zurückgewiesen, fallen raus, werden ignoriert oder bedrängt. Sie reagieren verschieden und haben nicht immer Erfolg.

Aber manchmal. Eine, die ausgestoßen ist, gibt nicht auf, fällt nicht zusammen. Sie strafft sich, sie singt, ohne Musik, mit inständiger Stimme, summt, zeigt Schritte, verlockt die starre Gruppe, gefällt, bringt sie zum Staunen, zum zögernden Bewegen, zum Nachmachen, Folgen schließlich. Gewonnen. Aber immer dauert das Glück in der Gruppe nicht lang. Immer gibt es neue Opfer, neue Konstellationen, neue Lösungen, neues Unglück. Schrecklich neutral kann ein Menschenkreis auf die in ihrer Mitte gucken, durch sie hindurch. Schrecklich kann das Flüstern sein, das gemeinsame Hingucken aus der sicheren Mitte heraus, das Zusammenrücken gegen außen.

„Und raus bist du“. Es gibt keine Moral, keinen richtigen und falschen Weg. Es geht auch nicht platt um AusländerFeindlichkeit, auch wenn das Thema verwandt ist:„Drinnen und Draußen, Dabeisein und Ausgrenzen, das sind menschliche Grundsituationen, aber kein Schicksal. Die wollen wir zeigen. Zum Hingucken: Was machen wir mit uns, mit anderen? „ sagt Michael Diekamp.

Susanne Paas

Aufführungen: nur 26.+27.2., 20.30 Uhr,

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