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Asyl-Schiff für 400 Menschen

■ ... im Kohlen- oder Kali-Hafen / Senatsentscheidung nächste Woche

Wie immer beim Prinzip Stille Post übertrafen die Gerüchte noch die Wirklichkeit, aber die allein ist schon dramatisch genug: Für ein „Wohnschiff“ mit 400 Plätzen für AsylbewerberInnen laufen derzeit die Vorbereitungen bei der Sozialsenatorin. Wind davon bekommen hatte der Beirat Gröpelingen, gerüchteweise gar über ein 600-Personen-Schiff, und alarmiert angekündigt, „eine solche Massenunterkunft auf keinen Fall zu akzeptieren“, so der SPD-Fraktions-Chef im Beirat, Stell. Angeblich soll das Schiff im tide-unabhängigen Kohlen- oder Kali-Hafen festmachen. Beiräte und Ortsamtsleiter Hans-Peter Mester sind sauer, nicht informiert worden zu sein. Mester: „Über 100 oder 150 Plätze läßt der Beirat noch mit sich reden, aber so nicht. 600 Mann, das kann keiner aushalten, die Betroffenen nicht und das Stadtteil-Umfeld auch nicht.“

Die Sprecherin der Sozialsenatorin, Frenzel-Heiduk, erklärte auf Anfrage: Im November schon habe der Senat das Ressort beauftragt, ein geeignetes Schiff zu suchen. Das sei passiert, nun gebe es verschiedene Anbieter mit jeweils rund 400 Plätzen. Die „Treuarbeit“ hat im Auftrag des Finanzsenators Kauf, Leasing, Charter und Mieten als Kostenrechnungen vergleichbar gemacht. Nun müsse der Senat nächste oder übernächste Woche entscheiden: „Wir brauchen die Plätze!“ Gute Erfahrungen habe man mit dem Schiff im Hemelinger Hafen gemacht, mit 2-3-Personen-Kabinen und Aufenthaltsräumen; die Hamburger hätten ja sogar mehrere Containerschiffe mit je 1.000 Menschen an Bord. Vorgesehen und finanzierbar sind rund um die Uhr 1,5 Stellen für Betreuung.

Das Schiff im Hemelinger Hafen hat 150 Plätze. Die jetzt geplanten 400 Plätze laufen klar gegen die Koalitions-Vereinbarungen, die eine kleinteilige und dezentrale Unterbringung vorsehen, kritisierte die grüne Abgeordnete Karoline Linnert. Wenn der sogenannte Bonner Asylkompromiß wirksam werde und die Flüchtlings-Zahlen fielen, so Linnert, „dann bleiben zuletzt nur noch zwei oder drei Massen-Lager mit miesen Standards übrig.“ Damit sich die teuren Schiffe überhaupt rechnen, müßten viele Personen und lange Liegezeiten, z. B. fünf Jahre, kalkuliert werden; „das ist ein richtiges Lager mit rigiden Spielregeln, mit Besuchsbeschränkung und anderem.“ Auch der Stadtteil, so Linnert, kann so eine Masenunterkunft nur noch als Bedrohung empfinden, „da bekommt kein Mensch mehr Kontakt“. Linnert („Wir Grünen haben bislang keinen einzigen Standort gekippt, wir haben uns in den Stadtteilen immer nur die Prügel abgeholt“) sieht darin Verwaltungslogik und politische Taktik: „Die SPD will lieber einmal eine große Lösung durchboxen, als in all den Beiräten viele kleine — aber die gesparte Kraft wird von den künftigen sozialen Folgen mehr als aufgefressen.“

Im Senat hatte auch der grüne Umweltsenator Ralf Fücks bereits Vorbehalte angemeldet: „Mit 400 Menschen ist die kritische Grenze überschritten, diese massive Konzentration kommt der Gettoisierung sehr nahe, das ist zu groß und völlig außerhalb der Wohngebiete“, so Fücks zur taz. S.P.

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