piwik no script img

Autonome Filmzensur mit Buttersäure

■ Anschlag auf Sputnik-Kino verübt/ Film „Terror 2000“ in Bekennerschreiben als rassistisch und sexistisch bezeichnet

Kreuzberg. Auf das Kino Sputnik haben sechs Vermummte in der Nacht zu Mittwoch einen Säureanschlag verübt. In einem Bekennerschreiben erklärten die vermutlich zur autonomen Szene gehörenden Täter, der gezeigte Film „Terror 2000“ sei „stumpfsinnig, rassistisch und sexistische Propaganda“. Das Sputnik wurde schon mehrfach von autonomen Filmzensoren attackiert. Auch andere Veranstalter geraten zusehends unter den Druck der selbsternannten Gesinnungswächter: Das Babylon widerrief eine Diskussion mit dem CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer, nachdem die Büroräume des Kinos durch Brandsätze verwüstet worden waren. Das Ensemble verzichtete auf die Vorführung des Films „Stau“ über den Alltag von Skinheads. Die Humboldt-Uni sagte eine Veranstaltung mit Alain de Benoist, einem Vordenker der französischen Rechten, wegen eines autonomen Drohflugblattes ab.

Nach Angaben eines Sputnik- Mitarbeiters hatten die Vermummten kurz nach Mitternacht geklingelt. Das in einem Hinterhaus gelegene Kino war zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen. Dem Filmvorführer sei eine geballte Ladung Tränengas ins Gesicht gesprüht worden. Dann hätten die Täter die Spulen dreier Filme, darunter die Kopie von „Terror 2000“, übereinandergestapelt und mit Säure begossen. Dem Gestank nach sei es Buttersäure gewesen. Ferner seien das Objektiv des Projektors und die Leinwand demoliert worden. Bevor sie flüchteten, hätten die Vermummten dem Filmvorführer gedroht, ihn „umzubringen“, wenn er sie verfolge. Das Paradoxe: Der Film „Terror 2000“ lief im Sputnik bereits seit fünf Wochen und sollte gerade abgesetzt werden. In dem mit „Kommando Filmriß“ unterzeichneten Bekennerschreiben heißt es, „Terror 2000“ ermögliche dem Publikum, sich an der „exzessiven Gewalt aufzugeilen“. Bei dem Streifen handele es sich „nicht um bösartige Satire, welche den rassistischen und sexistischen Alltag in Deutschland kritisiert“, sondern um „ekelhafte Realität“. Dazu das Sputnik: „Die haben den Film einfach nicht verstanden.“

In der Vergangenheit hatte ein Porno-Stummfilm und ein Film über die RAF im Sputnik die Aggressionen der Autonomen auf sich gezogen: einmal versprühten sie Buttersäure und zerschlitzten die Leinwand, ein anderes Mal ließen sie die Kinokasse mit 300 Mark mitgehen. Das Geld sollte angeblich in den Knast überwiesen werden, den geforderten Beleg hat das Sputnik allerdings nie erhalten. Die Kino-Macher zogen aus den Anschlägen das Fazit, fortan zu umstrittenen Filmen Diskussionen mit den Regisseuren zu initiieren. Dies sei auch bei „Terror 2000“ geschehen, hieß es. Der Film wurde übrigens auch in anderen Kinos gezeigt: ohne Zwischenfälle.

Kultursenator Roloff-Momin bezeichnete den Anschlag als neues Bespiel für die „Engstirnigkeit und Arroganz“ einer „Horde selbsternannter Zensoren“. Der kulturpolitische Sprecher von Bündnis 90/Grüne, Albert Eckert, forderte „die autonome Inquisition“ auf, „ihre Zensurlisten“ zu veröffentlichen. plu

Sondervorführung von „Terror 2000“: Sonntag um 20 Uhr im Tränenpalast, Veranstalter: Sputnik, Eiszeit, Babylon und Brotgarten.

(Siehe auch Seite 24)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen