: Kompetente Frau wird von Männern verdrängt
■ Am Südostasieninstitut der Humboldt-Universität ist die Wissenschaftlerin Ingrid Wessel ans Ende der Berufungsliste gerutscht/ Experten befürchten Profilverlust
Berlin. Bei der Humboldt-Universität (HUB) bringt der Briefträger derzeit öfter Post zum Thema Indonesien. Das hat nichts mit dem Besuch Helmut Kohls in dem südostasiatischen Land zu tun. Die Briefe stammen von Indonesien- Experten aus aller Welt, die heftig kritisieren, daß der regionalwissenschaftliche Ansatz des Südostasieninstitutes an der HUB gefährdet sei. Eine renommierte Wissenschaftlerin aus dem eigenen Hause, die Indonesistin Ingrid Wessel, scheint im laufenden Berufungsverfahren – wie zu erfahren war – ans Ende der sogenannten Dreierliste gerutscht zu sein.
Statt Ingrid Wessel, die sich mit der jüngeren Geschichte und der Gesellschaft Indonesiens befaßt, werde statt dessen ein Mann die ausgeschriebene Professur für Indonesistik einnehmen. Damit würde der „im deutschsprachigen Raum einzigartige regionalwissenschaftliche“ Ansatz des Instituts zerstört, sprich: die Auseinandersetzung mit Politik, Gesellschaft und Wirtschaft des Landes. Das bemängeln zwei Professoren der Freien und der Technischen Universität, Jürgen Zimmer und Wolfgang Karcher, in einem der taz vorliegenden Brief.
Es sei „ebenso idyllisch wie weltfremd“, die rasch wachsende wirtschaftliche und politische Entwicklung Indonesiens durch einen sprach- und literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt zu mißachten. Denn die männlichen Bewerber sind im Gegensatz zu Frau Wessel auf Sprache und Literatur Indonesiens spezialisiert, die Bahasa Indonesia.
Indonesien ist mit seinen 190 Millionen Einwohnern das viertgrößte Land der Erde. Es zählt zu den wenigen Entwicklungsländern, die einen rasanten Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens verbuchen. Freilich geschieht dies unter den Bedingungen eines autoritären militär-bürokratischen Regimes des Präsidenten Suharto. „Wir sinken ins 19. Jahrhundert zurück, wenn wir nur noch Sprache und Literatur machen“, bewertet daher Ingrid Wessel den geänderten Forscherblick.
Inzwischen ärgert sie sich, nicht genügend um den Ansatz einer „komplexen Länderwissenschaft“ gerungen zu haben, wie er in der DDR mit Zentren in Leipzig (Afrika), Rostock (Lateinamerika) und Berlin (Asien) gepflegt worden war.
In den Beratungen zur künftigen Ausrichtung des Institutes sei stets vom Erhalt der Südostasienwissenschaften als Regionalstudien die Rede gewesen. Die zuständige Struktur- und Berufungskommission schrieb indes die Stelle mit einem kleinen, aber bedeutsamen Zusatz aus: Indonesistik mit dem Schwerpunkt Geschichte/Gesellschaft „o.“ Sprache/Literatur.
Von einer Umorientierung könne keine Rede sein, widerspricht Dekan Hans-Dieter Kubitscheck, selbst ein Indonesist. Moderne Indonesienstudien, „die es so nirgends in Deutschland gibt“, seien ein wichtiger Bestandteil der erneuerten Afrika- und Asienwissenschaften an der HUB. Auch ein philologisch orientierter Bewerber müsse das abdecken.
Wie so oft an der Humboldt- Universität wurde im Erneuerungsprozeß offenbar der Fachbereichsrat von der Struktur- und Berufungskommission (SBK) an die Wand gedrückt, einem halb westlich halb östlich besetzten Gremium. Noch dazu wird seit den Ausschreibungen im Sommer letzten Jahres bei den Afrika- und Asienwissenschaften ein Mammutprogramm absolviert. 24 neue Professuren sind zu besetzen. Auf öffentliche Anhörungen habe man dabei verzichtet, gesteht Dekan Kubitscheck. Statt dessen habe es 82 nichtöffentliche Interview-Runden in der SBK gegeben.
Daß es nun Einmischung von außen in ein laufendes Verfahren gebe, findet der Dekan „verwerflich“. Die Briefeschreiber „disqualifizieren sich selbst“. Deren fachliche Reputation ist ansonsten hoch. Nicht ohne Stolz berichtet Ingrid Wessel, daß sich indonesische und amerikanische Experten über ihre mutmaßliche Rücksetzung empörten, darunter Benedict Anderson, die Galionsfigur aus dem „Modern Indonesia Project“ der Cornell University.
Die entscheidende Frage der Einmischung lautet: Kam sie zu früh oder zu spät? Momentan umgibt die Berufungsliste noch eine Aura der Heimlichkeit – wie bei Personalangelegenheiten üblich. Keiner sagt was, und das mit gutem Grund. „Wir haben in vielen Fällen delikate Entscheidungen zu treffen“, weist das Mitglied der Struktur- und Berufungskomission, Dietmar Rothermund, von der Ruprecht-Karls-Uni Heidelberg weitergehende Auskünfte ab. Christian Füller
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