: Vom Schädelspalter zur Großklinik
■ Eine Reise durch die Geschichte der medizin in 150 Zeilen: Schädelöffnungen mit dem Steinbeil, von Ameisen genähte Operationsnähte - und schwere Defizite in der Betäubungstechnik
Die Geschichte der Medizin ist so alt wie der Mensch. Schon an Knochenfunden aus der Steinzeit lassen sich operative Schädelöffnungen (Trepanationen) nachweisen. Sie waren der erste größere chirurgische Eingriff.
Der spanische Neurologe Francisco Grana hat im Jahr 1962 einen Schädel ausschließlich mit Werkzeugen der Steinzeit operiert: Bohrer, Sägen, Zangen, Hebel und Sonden. Es gelang. Wegen der Häufigkeit der Schädelöffnungen wurde vermutet, daß sie Bestandteil eines Zauberritus der Steinzeitmenschen waren und in erster Linie den Dämonen einen Ausgang verschaffen sollten. Doch an den Skeletten von trepanierten Patienten fanden sich auffallend oft weitere reale Krankheitsspuren. Erstaunlich viele Menschen müssen den Eingriff überlebt haben.
Ebenfalls an Knochenfunden konnte ein anderes Heilverfahren der frühen Medizin dokumentiert werden: die Behandlung von Knochenbrüchen. Schienung und Ruhigstellung von gebrochenen Gliedmaßen gehören zur Urkunst der Behandler. Viele der an uralten Knochen entdeckten Frakturen waren erstaunlich perfekt ausgeheilt.
Alles andere als perfekt war die Frühform der Anästhesie. Ohne ausreichende Schmerzbetäubung erlitten die Patienten fürchterliche Qualen, bis sie in die rettende Ohnmacht fielen. Die lindernde Wirkung von heilenden Kräutern, Blättern, Gräsern, Hölzern und Fellen war allen Kulturen bekannt und wurde im „medizinischen Alltag“ genutzt.
Über welche erstaunlichen handwerklichen Fähigkeiten die Medizin schon vor Jahrtausenden verfügte, zeigen alte Darstellungen aus Mesopotamien. Dort gehörte die Operation des „grauen Star“ zum festen Repertoire. Mit einer feinen Nadel wurde die Hornhaut des Auges durchstoßen, um die Linse zu „lockern“. Trotz dieser Kunstfertigkeit hatten die Operateure einen schlechten Stand. Sie wurden eher als Handwerker angesehen. Ging das Auge des Patienten bei der Operation verloren, wurde dem Chirurgen gelegentlich die Hand abgeschlagen.
In Ägypten war die von Priestern ausgeführte Beschneidung der häufigste operative Eingriff. Altindische Mediziner kreierten den Aderlaß, sie punktierten, und es gelangen ihnen die ersten Darmoperationen. Sensationell war die Operationsnaht: Der Chirurg hielt große Ameisen an die Wunde, bis sie mit ihren Zangen die Wundränder packten. Am Ende wurden die Leiber der hilfsbereiten Tierchen abgetrennt, während die Köpfe mit ihren Zangen die Wunde zusammenhielten.
Im Mittelalter wurde das Leben „vom Tode her gedacht“, es war nichts als eine irdische Durchgangsstation. Krankheit, Leiden und Sterben waren allgegenwärtig und eigentlich uninteressant. Der Priester war wichtiger als der Heilkundige, denn jede Krankheit ging auf Gott zurück. Vor allem die großen Seuchen wurden als Strafe des Herrn angesehen. Die Kranken wurden als von Gott Verstoßene nicht selten vor die Tore der Stadt gejagt. Lepröse waren mit ihren abscheulichen Geschwüren der Inbegriff der von Gott gestraften Kreatur.
In der Renaissance wurde der Tod entzaubert, der Mensch wünschte sich ein langes irdisches Leben und entdeckte seinen Leib. Die Anatomie blühte auf, Körper und Gesundheit wurden zum Gegenstand intensiver Forschung erhoben, Arzt und Arznei entwickelten sich, wie Alfons Labisch schreibt, vom „zufälligen Helfer in kranken Tagen zum stetigen Sachwalter des individuellen und kollektiven Körpers“. Die neue Wissenschaft der Medizin sollte den Menschen „weiser und geschickter“ machen (Descartes).
Ein ähnlicher Meilenstein für die Gesundheitsversorgung war die Einrichtung von Krankenhäusern. Sie entwickelten sich im 18. Jahrhundert aus den Waisenhäusern, Seuchenheimen und Hospizen, in denen die Bedürftigen gepflegt wurden. Vor allem für die armen Bevölkerungsschichten, die man als Arbeitskräfte brauchte, waren die ersten Krankenhäuser bestimmt.
Im Jahr 1727 wurde in Berlin mit der Charité das erste große deutsche Krankenhaus gegründet. In London war schon fünf Jahre zuvor das „Guy's Hospital“ in eine Krankenanstalt umgewandelt worden. 1770 wurde in Paris das erste Großkrankenhaus für 5.000 Patienten konzipiert. Joseph II. schuf in Wien 1780 die erste Gesundheitsreform und setzte per Gesetz die Einrichtung von Waisen-, Gebär-, Toll-, Siechen- und Krankenhäusern durch.
Der erste deutsche Krankenhausneubau für mehr als 1.000 Betten wurde in Hamburg Anfang des 19. Jahrhunderts geplant. Im späten 19. und vor allem im 20. Jahrhundert galoppierte der medizinische Fortschritt. Zwischen 1900 und 1980 stieg die Lebenserwartung in Europa von 46 auf 75 Jahre. Noch zur Zeit der Französischen Revolution war in Europa jedes zweite Neugeborene vor dem fünften Lebensjahr gestorben. -man-
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen