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Ein Spinnennetz schwebt über dem Bahnsteig

■ Wettbewerb Lehrter Straße entschieden: Neuer Zentralbahnhof für 4,2 Milliarden

Berlin. Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) will den „Nord-Süd- Durchstich“ am Lehrter Bahnhof wagen – die große Bahnhofsvision von Alfons Paquet aus dem Jahre 1923. Der neue ICE-Kreuzungsbahnhof wird nach den Plänen des Hamburger Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner realisiert werden. Die Hamburger Planer gingen aus dem diskursiven Verfahren, in Konkurrenz zu dem Berliner Architekten Josef Paul Kleihues, als Sieger hervor, wie Bausenator Nagel gestern mitteilte.

Das „größte Verkehrsbauwerk der Bahn in Berlin in diesem Jahrhundert“, so Nagel, sieht ein glasüberdecktes Eingangsgebäude vor, das von zwei Brückenbauten für Büronutzungen gerahmt wird. In Ost-West-Richtung krümmt sich eine nahezu vierhundert Meter lange transparente Bahnsteighalle für acht S-Bahn- und Fernbahngleise von der Lehrter Straße bis zum Humboldthafen. Unterirdisch verlaufen in einem 14 Meter tiefen Tunnel die Gleise der Nord- Süd-Fernbahntrasse. Das riesige Verkehrsbauwerk soll städtebaulich ergänzt werden von vier siebengeschossigen Büroblöcken, einem Kaufhaus sowie Wohnbauten entlang der Spree. Die Parkplätze ordnen die Architekten unter der Hochbahntrasse an. Der Clou des Entwurfs stellt eine Schiffsanlegestelle für Boote am Humboldthafen dar – Schiffchen für das Kanzleramt.

Die Entwicklung der „Bahnhofsvision gegenüber dem künftigen Regierungsviertel ist erforderlich“, sagte Bahnchef Heinz Dürr, da in Berlins Eisenbahnstruktur eine Nord-Süd-Verbindung fehlt. Die Notwendigkeit des Zentralbahnhofs ergebe sich aus Schätzungen, daß der Lehrter Bahnhof von 60.000 Reisenden täglich genutzt würde. Dürr: „Täglich werden hier 382 Zugpaare verkehren, davon 84 ICE- und 192 Regionalzüge. Für den Bau des Kreuzungsbahnhofs investieren wir rund 700 Millionen Mark. Wir müssen den Charakter des alten Bahnhofs aufbohren.“ Der neue Bahnhof mit den infrastrukturellen Einrichtungen werde ein Quartier für moderne Serviceinrichtungen, mit Einkaufszentren und Büros wie bei Bahnhöfen in Japan, erläuterte der oberste Bundesbahner.

Als nächsten Schritt will Bausenator Nagel ein Investorenauswahlverfahren initiieren, um die Finanzierung des Megapojekts von 4,2 Milliarden Mark zu sichern. Außerdem muß das Konzept mit den Plänen Axel Schultes für das Gelände des Spreebogens abgestimmt werden, bevor mit den eigentlichen Bauarbeiten 1995 begonnen werden kann. Die Inbetriebnahme des Bahnhofs ist für das Jahr 2000 vorgesehen.

Fragwürdig an dem Projekt „Zentralbahnhof“ ist nicht nur das städtebauliche Konzept eines Büro- und Einkaufsghettos, der Verlust dezentraler Verkehrsstrukturen und die Zerstörung sozialer Bindungen im Bezirk Tiergarten. Kritik verdient das Bahnhofsgebäude selbst, das mehr einem geklammerten Netzstrumpf ähnelt als einem traditionellen Bahnhofsbau. Außerdem muß dem Neubau der alte Lehrter Bahnhof weichen; ein Abriß, den die zuständige Denkmalpflegerin beim Landeskonservator, Gabi Dolff-Bonekämper, gegenüber der taz als „skandalös“ bezeichnete: „Durch die Trassenverlegung und den Abriß wird mitten in den Verbund des denkmalwerten S-Bahn-Viadukts eine Lücke gerissen.“ Rolf Lautenschläger

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