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Entsetzen bei ABM-Projekten

■ Tausende von ABM-Stellen sind durch Nürnberger Entscheidung betroffen/ Ab Montag haben Arbeitsämter viel zu tun

Berlin. So wie den 44 Mitarbeitern des Projekts „Schulkinder und Stadt“ wird es ab Montag Tausenden in der Stadt gehen: Statt zur Arbeit werden sie den Gang in die Arbeitslosigkeit antreten. Denn der Beschluß der Bundesanstalt für Arbeit (BA) in Nürnberg, ab sofort keine neuen Stellen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) mehr zu bewilligen, bedeutet das vorläufige Aus für das ehrgeizige Projekt des „Fortbildungsinstituts für die pädagogische Praxis“ (FIPP). Rund 1.000 Kinder zwischen 10 und 14 Jahren, die von elf Stadtteilteams in Ostberlin seit gut einem Jahr betreut werden, drohe damit „die Rückkehr auf die Straße“, wie FIPP-Vorständlerin Barbara Tennstedt gestern erklärte.

Welche widersinnigen Folgen die Nürnberger Entscheidung vor Ort bedeuten, verdeutlichten FIPP-Mitarbeiter gestern in der Projektzentrale in der Wolliner Straße an Einzelbeispielen: So ist die Zukunft des erst am 11. Februar eröffneten Freizeittreffs „Launekeller“ in Hellersdorf ebenso ungewiß wie die für den 3. März vorgesehene Einweihung des „Inselhauses“ in der Storkower Straße 5. Daniela Discher vom Stadtteilteam Prenzlauer Berg: „Wir werden zunächst ehrenamtlich weitermachen und hoffen, daß uns die Gelder doch noch bewilligt werden.“ Darauf wartet das FIPP- Projekt schon seit längerem: Seit Oktober 1992 liegt der Verlängerungsantrag schon beim Arbeitsamt.

Kalt erwischte es gestern auch eines der größten ABM-Projekte im Westberlin, die im alternativen Energiebereich tätige Firma „Atlantis“. In den Nachmittagsstunden wurde 44 von 160 Mitarbeitern in der Kreuzberger Zentrale die Kündigung ausgestellt. ABM-Referent Wolfgang Stark: „Darunter sind viele, die erst seit kurzem dabei sind und daher keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben“.

Nach Angaben der Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) sind vom nun verfügten Bewilligungsstopp rund 70 Prozent aller ABM-Projekte in Berlin betroffen. Im Ostteil mache dies 20.000, in Westberlin rund 4.000 Stellen aus. Bergmann wertete die Maßnahme als „Schweinerei“, die zeige, in welcher „zynischen Art und Weise“ auf den Menschen herumgetrampelt werde. Zusätzliche Arbeit kommt auch durch die wieder eingeführte Meldekontrolle auf die Arbeitsämter zu. Nach einem Beschluß der BA sollen ab sofort jeden Monat 33 Prozent der ost- und 50 Prozent der westdeutschen Arbeitslosen sogenannte Beratungsgespräche in Anspruch nehmen. Bettina Martin, Sprecherin der Arbeitssenatorin: „Wenn jedes Gespräch allein 15 Minuten dauert, kommen allein im Ostteil der Stadt pro Tag 100 Stunden Mehrbelastung hinzu.“ Um diese Arbeit überhaupt bewältigen zu können, müßten pro Amt 13 zusätzliche Stellen eingerichtet werden. Einzelheiten des Beschlusses seien aber bisher überhaupt nicht bekannt. Martin: „Statt die Arbeitslosen zu kontrollieren und damit vom eigentlichen Problem abzulenken, sollte eine vernünftige Arbeitsstrukturpolitik endlich durchgesetzt werden.“

Unterdessen hat der „Berliner Verband der Arbeitsförderungs- und Beschäftigungsgesellschaften (BVAB)“ zu einer Protestveranstaltung aufgerufen, die am Montag um 15 Uhr vor dem Landesarbeitsamt stattfinden soll. Treffpunkt: Friedrichstraße in unmittelbarer Nähe des U-Bahnhofs Kochstraße. Severin Weiland

Siehe auch Berichte Seiten 1 und 3

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