piwik no script img

Die letzten Tage der Demokratie

■ Vor 60 Jahren fiel Hamburg in die Hände der Nazis: eine Chronologie der Ereignisse

: eine Chronologie der Ereignisse

Hamburg, Ende Februar 1933: schon fast einen Monat ist Adolf Hitler in Berlin als Reichskanzler im Amt. Aber trotz Terror und Drohungen haben es die Nationalsozialisten noch nicht geschafft, ihre Macht überall durchzusetzen. Besonders in der Hansestadt versuchen sie bislang erfolglos, den Senat auf NS-Kurs zu bringen. Auch wenn die Stadtregierung als Folge unklarer Mehrheitsverhältnisse seit September 1931 nur geschäftsführend tätig ist, steht für die Senatoren eine Koalition mit den Nazis außer Frage.

Die Lage ändert sich jedoch, als am Abend des 27. Februar in Berlin der Reichstag niedergebrannt wird. Die symbolträchtige Zerstörung des Parlamentsgebäudes kommt den Nazis wie gerufen: sie nehmen das Attentat als Anlaß, die fertig ausgearbeitete „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ zu erlassen und sofort scharf gegen die kommunistische Partei und die linke Presse vorzugehen. Überall finden Festnahmen statt, in ganz Preußen werden sozialdemokratische Zeitungen verboten, SA und SS als Hilfspolizei eingesetzt. Das noch frei arbeitende Hamburger Echo fragt in einem Kommentar zum Reichstagsbrand daher ganz offen: „Was steckt dahinter?“ Die Antwort ist vielen klar.

In Hamburg gibt es in der Nacht zum 1. März Unruhen; bei einer Schießerei mit Kommunisten kommt in Hammerbrook ein Polizist ums Leben. Daraufhin beschließt der Senat am nächsten Tag Maßnahmen gegen die KPD. 75 Partei-Funktionäre werden verhaftet, Versammlungen verboten, Flugblätter und Broschüren beschlagnahmt. Abends provoziert die SA erneute Ausschreitungen; auch in Barmbek fallen jetzt Schüsse. Die Provokationen verschärfen sich, anläßlich der am 5. März stattfindenden Reichstagswahl fordern Plakate der Nazis: „Zerstampft den Kommunismus! Zerschlagt die Sozialdemokratie!“.

Noch hat Hamburg eine freie Presse - aber die kritischen Kommentare des Echos veranlassen das Berliner Innenministerium zu massivem Druck. Ultimativ wird der Senat aufgefordert, die Zeitungen für 14 Tage zu verbieten, andernfalls werde für die Stadt ein Reichskommissar eingesetzt. Darüber entspinnt sich am 3. März im Rathaus ein Disput: die fünf SPD-Senatoren verweigern das Vorgehen gegen ihr eigenes Parteiblatt. Um aber „Hamburg Schwierigkeiten zu ersparen“, treten sie zurück. Unmittelbar nach diesem Schritt erfolgt das Verbot des Echos. Triumphierend meldet das nationalsozia-

1listische Tageblatt: „Hamburger Senat endlich marxistenfrei“. Abends spricht Hitler in Planten un Blomen, in Hammerbrook und Rothenburgsort gibt es erneute Unruhen, in Berlin verhaftet die Polizei den Eppendorfer KPD-Funktionär Ernst Thälmann.

Zwei Tage später ist Reichstagswahl: die inszenierte Zustimmung der Bevölkerung soll Hitlers Kanzlerschaft „demokratisch“ legitimieren. An der Elbe stehen entscheidende Kräfte bereits hinter ihm: auf mehreren Polizeikasernen weht die Hakenkreuzfahne - trotz Ver-

1bot. Das Abstimmungsergebnis enttäuscht die Erwartungen: nur 38,9 Prozent der Hanseaten stimmen für Hitler, 44,5 Prozent aber entscheiden sich für die Links-Parteien. Die wahren Machtverhältnisse sehen anders aus: noch am selben Abend fordert die Reichsregierung vom Senat, dem Standartenführer Richter die Polizeigewalt zu übertragen. Gleichzeitig fahren SA- und SS- Mannschaften vor dem Rathaus auf. Exakt um 22 Uhr hängen sie eine riesige Hakenkreuzfahne heraus: 34 Tage nach der „Machtergreifung“ haben die Nazis nun auch in Ham-

1burg die Regierung an sich gebracht.

Der letzte demokratisch legitimierte Senat gibt auf: einen Tag später legt Innensenator Paul de Chapeaurouge aus Protest sein Mandat nieder; die restlichen vier Senatoren führen ihre Geschäfte nur noch zwei Tage weiter. Am 8. März tritt ein neuer, von den Nazis dominierter Senat zusammen. Bürgermeister der Hansestadt wird Carl Vincent Krogmann - ein früherer Förderer Hitlers, der die Ziele seines „Führers“ durchzusetzen weiß. Kay Dohnke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen