: Deilke-Prozeß: Null Bock auf Wiederholung
■ Gericht kungelt mit der Bundesanwaltschaft Einstellung des Verfahrens wegen RAF-Mitgliedschaft aus / Verteidigung fordert Freispruch
aus / Verteidigung fordert Freispruch.
Vor dem 4. Senat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) beginnt heute die Neuauflage des Prozesses gegen den 32jährigen Detmolder Holger Deilke, nachdem der Bundesgerichtshof im Juli 1992 das Urteil des 3. OLG-Senats aufgehoben hatte. Ob es allerdings zu einem langwierigen Verfahren kommen wird, ist fraglich: Hinter den Kulissen kungeln Gericht und Bundesanwaltschaft (BAW) über eine Einstellung des Terrorismus- Prozesses.
Der sogenannte „Staatsschutzsenat“ des OLG hatte Deilke im Oktober 1991 wegen „Mitgliedschaft in der RAF“ (§129a StGB) zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Verhaftung von Deilke und Ute Hladki am 17. Dezember 1989 in Tönning bei Husum war — kurz nach dem Herrhausen–Attentat — als großer RAF-Fahndungserfolg gefeiert worden. Die beiden hatten zuvor mehrere Monate bei den beiden HafensträßlerInnen Karl-Heinz Gerum und Cora Kammermeier in einer konspirativen Kate bei Lasbek (Bargteheide) gewohnt.
Deilke und Hladki waren untergetaucht, um sich in Düsseldorf einem 129a-Verfahren wegen „Unterstützung der RAF“ zu entziehen. Es war gegen sie angestrengt worden, weil sie eine Veranstaltung zur Situation der RAF-Gefangenen organisiert hatten. Cora Kammermeier wollte sich durch ihr Untertauchen dem Absitzen einer mehrmonatigen Reststrafe wegen eines geplanten Banküberfalls entziehen.
Die BAW bauschte die Verhaftung Deilkes und Hladkis — Gerum und Kammermeier sind bis heute auf der Flucht — zum „großen Schlag gegen die RAF“ auf. Angeblich hätten die Vier einen Anschlag auf den Industriellenboß Tyll Necker in Bad Oldesloe geplant, von Tönning aus wollte sie angeblich Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg den Garaus machen. Auf der Suche nach Gerum führte die Bundesanwaltschaft 1990 eine Riesen-Razzia in der Hafenstraße durch, fand dort angeblich Stadtpläne mit Anschlagszielen auf Politiker und Industrielle.
Im Prozeß vor dem „Staatsschutzsenat“ blieb von alledem nichts übrig: Das Gericht konnte allenfalls zutage fördern, daß die vier Lasbeker untergetaucht waren und sich dabei „RAF-Methoden“ bedienten. So fuhren sie einen geklauten Golf mit Doublettenkennzeichen, benutzten sogenannte „tote Briefkästen“, um mit Freunden in der Legalität zu kommunizieren und Deilke war bewaffnet.
Diese „RAF-typischen Merkmale“ reichten damals dem Vorsitzenden Richter, Albrecht Mentz, aus, um Deilke wegen „RAF-Mitgliedschaft“ zu verknacken. Das Verfahren gegen Ute Hladki wurde ausgesetzt, nachdem sie sich im Gefängnis eine Wirbelsäulen-Lähmung zugezogen hatte.
Doch der BGH hob das OLG- Urteil auf. Nach Auffassung der obersten Richter war die OLG- Schlußfolgerung unzulässig, daß, wenn Menschen erprobte „RAF- Methoden“ anwenden, sie auch automatisch „RAF-Mitglieder“ sein müssen.
Das Hamburger Revisionsgericht zeigt nun wenig Lust, das mehrmonatige Verfahren nochmals von vorn aufzurollen. Fernmündlich regte daher der Vorsitzende Richter Diethelm Erdmann bei der Staatsanwaltschaft an, daß 129a-Verfahren einzustellen, weil Deilke ohnehin wegen der anderen Straftaten (unerlaubter Waffenbesitz, Autodiebstahl) mit einer Verurteilung „nicht unter zwei Jahren“ rechnen muß, und somit die Strafe die Untersuchungshaft übersteige.
Mitte Januar traf dann tatsächlich beim OLG der vom Gericht begehrte 129a-Einstellungsantrag der Bundesanwälte ein. Die Folge: Bereits heute könnte es zu einer teilweisen Verfahrenseinstellung kommen. Anwältin Ute Brandt: „Die Verteidigung hat darauf keinen Einfluß. Uns wäre natürlich ein Freispruch lieber.“
Zwar sei die 129a-Einstellung „ein politischer Erfolg“, die Juristin gibt aber zu bedenken, daß sich die BAW damit die „Option“ offenhält, die 129a-Fahndung nach Kammermeier und Gerum aufrechtzuerhalten. Brandt: „Im dem Urteil gegen Deilke könnte es dann heißen, es sei nicht auszuschließen, daß der Diebstahl des Golfes im Zusammenhang mit einer Beteiligung an
1einer terroristischen Vereinigung begangen wurde. Das sei jedoch nicht abschließend geklärt, weil diesbezüglich die Einstellung erfolgte.“ Ute Brandt kündigte deshalb an, daß alle relevanten Teile der Beweisaufnahme wiederholt
1werden müssen. Brandt: „Die Verteidigung wird selbstverständlich kein Urteil akzeptieren, daß im Wege des Zitierkarussels in Nachfolgeprozessen anderen Angeklagten zum Nachteil gereicht.“ Kai von Appen
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