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Calatrava-Bahnhof wird nicht gebaut

■ Neubau-Plan für Spandauer Fernbahnhof geplatzt/ Investoren abgesprungen/ Bausenat: Bahn hat versagt

Berlin. Die kühnen Bahnhofsvisionen des Bundes- und Reichsbahnchefs Heinz Dürr „für einen Bahnhof neuen Typs in Berlin mit Einrichtungen des Handels und für Dienstleistungen“ rasen in Richtung Abstellgleis – noch ehe sie Gestalt annehmen können. Wenige Tage nach der Vorstellung der Pläne für den neuen Zentralbahnhof wird vom Bausenator bestätigt, daß das Konzept für eine städtebauliche und inhaltliche Verknüpfung zwischen Verkehrsbauwerk und zusätzlichen Büro- und Dienstleistungsgebäuden beim „Versuchsballon“ Spandauer Fernbahnhof gescheitert ist.

Der prämierte Wettbewerbsentwurf für den neuen Bahnhof an der Spandauer Klosterstraße von Santiago Calatrava (Zürich) „kann auch nach der Überarbeitung nicht realisiert werden“, bestätigte Ulla Luther, Baudirektorin bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen. „Der Spandauer Fernbahnhof konnte nach einem Investorenauswahlverfahren keinen Financier finden. Architektur und Interessen des Investors führten zu keiner kostendeckenden Lösung. Weder das Land Berlin noch die Reichsbahn wollten allein die Kosten einer solchen Baumaßnahme übernehmen.“ Das gleiche sei für den geplanten Bahnhof Gesundbrunnen absehbar, sagte Luther. Die derzeit fallenden Gewerbemieten in der Innenstadt erschwerten die Durchsetzbarkeit des Wettbewerbsergebnisses.

Der Architekt Calatrava, siegreicher Wettbewerbsteilnehmer bei der Reichstagskonkurrenz, hatte Mitte 1992 nach einem städtebaulichen Ideenwettbewerb einen wunderbaren Entwurf mit einer gläsernen Bahnsteighalle, zwei filigran konstruierten Brückenbauten und – zu wenigen – Büroflächen geplant. Das städtebauliche Konzept überwand die trennende Wirkung der Bahngleise und verband die Spandauer Altstadt mit der Wilhemstadt. Die Absichten der Bahn, Investoren für das 1,2 Milliarden Mark teure Bauvorhaben zu gewinnen, scheiterten. „Der Calatrava-Entwurf war dem einzigen Interessenten (Stanhope, d.V.) nicht nur zu kostenaufwendig, sondern bot zu wenig Flächenpotentiale“, umreißt auch der zuständige Reichsbahn- Projektleiter Franz die Schwächen des Projekts: „Der Plan ist mangels Masse gekippt worden.“ Die Kosten des Verkehrsbauwerks an einem außerhalb des Zentrums liegenden, teuren Standort rechneten sich für die Londoner Immobilien- Gruppe Stanhope nicht.

Die Blauäugigkeit der Reichsbahn – und der zuständigen Senatsverwaltungen –, ein teures Projekt zu küren, von irrwitzigem wirtschaftlichem Kalkül auszugehen und ein fragwürdiges Bahnhofskonzept am falschen Ort ausprobieren zu wollen, wirkt sich nun schädlich auf die Stadtentwicklung aus. „Architektur, wie wir sie uns wünschen, ist bei Voraussetzungen wie in Spandau und im Bereich Gesundbrunnen schlecht möglich“, übt Bausenats-Mitarbeiterin Ulla Luther Selbstkritik. „Es hat sich gezeigt, daß die Bahn nicht unternehmerisch denken kann. Das Verkennen der Tatsachen hat zu einer Ernüchterung geführt“, resümiert Frau Luther. Sie hofft nun auf realistischere Einschätzungen bei der Bahn.

Statt des achtgleisigen Fernbahnhofs mit Geschäftsviertel werden in Spandau nun kleinere Brötchen gebacken: In den nächsten Tagen wird endgültig darüber entschieden, wie der „sehr zurückhaltende Entwurf“, so Spandaus Baudirektor Walter Göllner, des Hamburger Büros von Gerkan, Marg und Partner, die auch den Zentralbahnhof entwarfen, in ein Planfeststellungsverfahren geleitet werden kann. Zugleich, so Göllner, wird die Planung nun herausgelöst aus dem baulichen Dienstleistungsprogramm. Die Reichsbahn versuche das freie Gelände an Investoren loszuschlagen, in der Hoffnung, doch noch ein Geschäft zu machen. Die Ansprüche an die „Dekonzentration“ seien noch nicht aufgegeben worden. Rolf R. Lautenschläger

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