: Al Pacino als Kunstfigur
Ein Gespräch mit Martin Brest, dem Regisseur von „Der Duft der Frauen“ ■ Von Gerhard Midding
taz: Mr. Brest, hatten Sie keine Angst, sich in die Höhle des Löwen zu begeben, wenn Sie ihren Film ausgerechnet in Rom der europäischen Presse vorstellen? Immerhin beruht er auf einem berühmten italienischen Film: „Prufomo di Donna“ („Der Duft der Frauen“) von Dino Risi.
Martin Brest: Ich habe tatsächlich große Schwierigkeiten, den Leuten hier klarzumachen, daß mein Film kein Remake ist. Der alte Film hat mir sehr gefallen, und als ich hörte, daß die Rechte frei seien, habe ich mir diese sofort gesichert. Als ich den Film dann jedoch genauer studierte, wurde mir klar, daß mich eigentlich nur die Figur interessierte, die Vittorio Gassman spielt. Diese Figur wollte ich übernehmen, den Rest der Handlung des Originals – die Beziehung des blinden Offiziers zu dem Jungen in der ersten, die Liebesgeschichte in der zweiten Hälfte des Films – nicht. Aber diese zentrale Figur, die liebe ich, die halte ich für eine der interessantesten Figuren im Kino überhaupt.
Sie ist sehr eigentümlich; eine Kunstfigur, ganz anders, als Blinde sonst im Kino dargestellt werden. Hat sich Al Pacino dennoch mit Recherchen auf die Rolle vorbereitet?
Die Figur des Colonels war in unserem Drehbuch sehr präzise vorgegeben: die Art, wie er sich kleidet, seine Wortwahl. Dennoch standen wir bei den Dreharbeiten vor etlichen offenen Fragen: Wie bewegt er sich? Wie gehen wir mit dem Blindsein um? Was für eine Körperhaltung wird er einnehmen? Das war eine Frage, die mich sehr beschäftigte, denn Al verändert seine Haltung von Film zu Film: in „Serpico“ wirkt er zusammengesunken wie eine Stoffpuppe, in seiner Rolle in „The Godfather“ („Der Pate“) wirkt er sehr majestätisch, hält sich aufrecht. Eine solche Haltung mußte natürlich auch der Colonel haben.
Dann fragten wir uns: Wie lange ist er schon blind? Wie sicher findet er sich in Räumen zurecht? Soll er Kontaktlinsen tragen, mit denen seine Augen eisgrau wirken? Das hatten wir am ersten Drehtag übrigens noch gar nicht entschieden, deshalb trägt Al in den Szenen im College eine Sonnenbrille. Wir haben uns dann sehr schnell gegen Kontaktlinsen entschieden, denn wir wollten nicht zuviel Aufmerksamkeit auf das Moment des Blindseins lenken, denn wir hatten das Gefühl, das der Film ebensogut funktionieren könnte, wenn er nicht blind wäre. Entscheidend für diese Figur war, daß sie ihr Leben auf eine bestimmte Weise gelebt hat, daß sie bestimmte Entscheidungen getroffen hat, für die sie nun zahlen muß. Der Colonel ist einsam, er hat keine Frau oder Freunde, die ihn lieben, denn er hat die Menschen in seiner Umgebung immer auf eine bestimmte Weise behandelt. Wichtig an der Figur ist nicht, daß sie blind ist, sondern daß sie ihr ganzes Leben lang ein Arschloch war.
Pacino gehört zu einer Reihe von Schauspielern, die dem „Actor's Studio“ angehören, die Hauptrollen in Ihren Filmen übernommen haben: Lee Strasberg, der Gründer, spielte in „Going in Style“ („Die Rentnergang“), Robert De Niro in „Midnight Run“ („Fünf Tage bis Mitternacht“). Haben Sie eine besondere Affinität zu diesem Stil?
Das war bei der Schauspielerführung eigentlich nie ein Thema. Ich verstehe von der Schauspielerei recht wenig, habe sie nie studiert oder Unterricht genommen. Und ich habe mit dem Lehrer des method acting und zwei seiner wichtigsten Schüler gearbeitet, ohne die geringste Ahnung zu haben, worin dieser Stil besteht!
Sie haben alle drei auch sehr ungewöhnlich besetzt: in Komödienrollen.
Aber sie sind an diese Rollen mit der gleichen Ernsthaftigkeit herangegangen wie an ein Drama! In einer Komödie zu spielen, bedeutete für sie nicht Slapstick oder Frivolität, sie fühlten sich der Wahrheit eines Augenblicks, der Wahrhaftigkeit einer Szene ebenso verpflichtet wie bei einem dramatischen Stoff. Darin liegt eine Ehrlichkeit, ein Verzicht auf Tricks, die mir sehr behagt. Es mag richtig sein, daß ich eine Affinität zu diesem Stil habe, allerdings auf einer intuitiven Ebene. Denn die Schauspielerei ist für mich keine Wissenschaft, sondern eine Kunst. Und worin auch immer die Philosophie des Actor's Studio besteht, in welcher Sprache dort auch immer gelehrt wird, ich fühle mich dem doch sehr nahe.
Bei Midnight Run haben Sie Ihre Hauptdarsteller De Niro und Charles Grodin sehr viel improvisieren lassen, was überrascht angesichts eines Films, der einem sehr genau ausgearbeiteten und sehr komplizierten Plot folgt. Empfahl sich das auch bei einem Stoff wie „Scent of a Woman“?
Ironischerweise ließ die sehr dichte Konstruktion von Midnight Run viel mehr Freiräume. Dieser Film ist viel weniger augenfällig konstruiert, die Handlungsführung ist geradezu karg: zwei Figuren, die ein Wochenende miteinander verbringen müssen. Die Arbeit an einem solchen Stoff ist sehr heikel, aber auch wunderbar. Die Figuren müssen sich langsam annähern, man muß sehr subtil einen Bogen schlagen von der Ausgangsposition der Charaktere bis zu dem endgültigen Verhältnis. Beim Drehen ist so etwas zusätzlich schwierig, weil wir nicht chronologisch arbeiten konnten. Am ersten Drehtag haben wir beispielsweise die letzte Szene im College gedreht. Diese Beziehung entfaltet sich langsam, verändert sich in Nuancen, und genau die muß man treffen. Es gibt wenig, was die Dialogszenen vorantreibt. Deshalb mußte deren Choreographie sehr präzise sein.
Außerdem lieben Schauspieler den Gedanken nicht, daß sie die Probleme des Drehbuchs lösen müssen. Wenn ein Drehbuch ein gewisses Niveau hat, eine gewisse Dichte, sind sie sicher bereit, etwas hinzuzufügen oder zu variieren. Aber es wäre ungehörig, von einem Schauspieler, der einer Figur eine emotionale Realität verleihen soll, nun auch noch zu verlangen, daß er sich die Dialoge ausdenkt! Aber natürlich verleiht die Improvisation manchen Szenen eine größere Lebensnähe, und oft passiert es mir, daß ich Schauspieler zum Improvisieren ermutige und daß auf diese Weise einer Szene Nuancen hinzugewonnen werden, die sie auf dem Papier nie hatte.
Bleiben wir einen Moment beim Drehbuch: Ein hübscher Zufall – wenn es denn einer ist – besteht darin, daß die Autoren des Originals, Dino Risi und Ruggero Maccari seinerzeit für einen Oscar nominiert waren, der dann aber an Bo Goldman für sein Drehbuch zu „One flew over the cuckoo's nest“ („Einer flog übers Kuckucksnest“) ging. Und nun hat Goldman das Buch zum neuen Film geschrieben!
Ich wußte nicht, daß damals das Drehbuch nominiert war. Ich dachte, der Film sei nur als bester ausländischer Film nominiert worden. Ist das wirklich wahr? Ist ja verrückt! (lacht)
Goldman ist ein Spezialist für Drehbücher mit ungleichen Paaren; ich denke zum Beispiel an Melvin und Howard, den Jonathan Demme verfilmt hat. Wie haben Sie zusammengearbeitet?
Wir beide mochten den Stoff, oder besser: die Hauptfigur sehr und überlegten, was für einen Film wir daraus machen könnten. Dann war es aber so, daß wir uns bei jeder Arbeitssitzung nur über unsere persönliche Erfahrung unterhielten. Nach fünf, sechs Stunden sahen wir meist erschrocken auf die Uhr: Sollten wir nicht doch etwas arbeiten? Das ging Tag für Tag so, und wir lernten einander sehr genau kennen. Deshalb war das auch keine vertane Zeit, sie war im Gegenteil sehr fruchtbar für uns; denn viele der Erfahrungen, Beobachtungen, über die wir uns absichtslos unterhalten hatten, konnten wir im Drehbuch verwerten.
Eine sehr italienische Arbeitsweise: der Arbeit aus dem Weg gehen und sie dabei doch nie aus den Augen verlieren.
Tatsächlich?
Ja, Ettore Scola arbeitet beispielsweise so mit seinen Drehbuchautoren.
Aha, dabei dachte ich, wir hätten diese Methode erfunden! (lacht schallend)
An der Konstruktion des Drehbuchs gefiel mir, wie die beiden unterschiedlichen Handlungsstränge – das Wochenende, das der Junge mit dem Colonel verbringt, und demgegenüber das Dilemma, in dem er auf dem College steckt, die Entscheidung, die er treffen muß – miteinander verknüpft sind: auch bei der Zeugenaussage im College geht es um die Frage des Sehens und Nicht-Sehens.
Das ist ein Zufall. Interessant, daß Sie das erwähnen... Diese Verbindung war mir bislang überhaupt nicht bewußt. Beim Schreiben des Drehbuches kam es uns auf den moralischen Konflikt an, in dem der Junge sich befindet. Interessant, daß es darüber hinaus eine Verbindung gibt.
Sie liegt darin begründet, daß das Sehen in diesem Film immer eine sehr moralische Dimension gewinnt. Ich denke da zum Beispiel an die Szene, in der der Junge ein schlechtes Gewissen hat, weil er sich möglicherweise korrumpieren läßt, und den Colonel fragt: „Kann es sein, daß Sie mich jetzt anschauen“ und er antwortet: „Nein, ich bin blind.“
Ja, das war auch für mich eine wichtige Szene. Sie war übrigens ungeheuer schwer zu drehen. Wir haben dreißig oder vierzig Takes von Chris O'Donnells Reaktion gedreht, bis wir die richtige Nuance gefunden hatten. Bei den anderen Takes wirkte er oft zu verärgert oder defensiv. Ich wollte einen Ausdruck der Verwirrung, der ein wenig abstrakt ist, denn schließlich ist ihm klar, daß der Colonel blind ist, aber andererseits scheint dieser über alles Bescheid zu wissen.
War es für den jungen Darsteller eigentlich schwer, daß er keinen Blickkontakt zu seinem Partner haben konnte?
Ich glaube, das hat Chris O'Donnell im Gegenteil sehr geholfen. Er konnte in Al Pacinos Augen sehen, Al umgekehrt aber nicht. Das war für Chris schwierig, es warf ihn ein wenig aus dem Gleichgewicht. Das war gut so, denn auf diese Weise konnte er nur den Colonel anschauen und dabei nie dessen Darsteller sehen.
Lassen Sie uns noch ein wenig über den Schnitt des Films sprechen: er verleiht ihm einen Rhythmus, der zwischen langen Dialogszenen und rasch geschnittenen, aktionsreichen Höhepunkten und Augenblicken euphorischen Erlebens changiert.
Meine Auffassung vom Schnitt ist eher eine literarische als eine musikalische. Ich liebe den Prozeß der Montage ganz unterschied
Fortsetzung auf Seite 14
Fortsetzung von Seite 13
lichen Materials. Deshalb drehe ich sehr, sehr viel Material und versuche, ein Arbeitsklima zu schaffen, in dem man vor der Kamera experimentiert. Ein Klima, in dem auch Zufälle passieren und Fehler unterlaufen können, denn sie sind oft „richtiger“ als etwas, was schon auf dem Papier stand. Dabei verliere ich den Schnitt nie aus den Augen. Und daraus entstehen oft Szenen, die ich in dieser Form gar nicht gedreht habe. Sie setzen sich zusammen aus kurzen Augenblicken, deren Chronologie ich ändere, die ich aus unterschiedlichen Takes zusammenfüge. Das ist eine große Herausforderung für mich, denn es verändert auch die Darstellung der Schauspieler. Bei jedem Take spielen sie anders, sind mal extrovertierter, mal zurückhaltender. Die schwierigste Szene war in dieser Hinsicht die Auseinandersetzung des Colonels mit dem Jungen im Hotelzimmer, als er ihn mit der Waffe bedroht. Die Szene sieht sehr einfach aus, eine Reihe von Nah- und Großaufnahmen, überhaupt nichts Spektakuläres. Doch ich hatte eine Fülle von Material gedreht und mußte genau die Momente zusammenfügen, die wirklich zueinander paßten.
Es ist viel leichter, eine Action- oder eine Tanzszene zu schneiden. Obwohl die Tanzszene in unserem Film komplizierter ist. Einerseits geht es wirklich um einen Tanz, andererseits entwickelt sich während dessen eine Art stummer Dialog zwischen den beiden Partnern.
Ich mochte den Musikschnitt sehr am Ende der Sequenz: die Tangomusik klingt noch weiter, und Sie schneiden schon auf die Totale einer Straße. Das paßt sehr gut zum Thema des Films, in dem das Glück eine kurzfristige, hastige Erfahrung ist.
Die anschließende Szene ist ja der Dialog der beiden im Wagen, kurz bevor der Colonel zu der Prostituierten hinaufgeht. Der Komponist hatte eine interessante Idee: er wollte das Thema wiederverwenden, das immer signalisierte: Der Colonel plant wieder ein Abenteuer! Ich habe mich zunächst darauf eingelassen, denn der Komponist war überzeugt davon. Beim Rohschnitt haben wir dann gemerkt, daß es die Stimmung der Szene vollständig veränderte. Die Szene sollte vielmehr ein trauriges Nachspiel der Tangoszene sein. Der Zuschauer sollte sich fragen: Mein Gott, der Colonel ist doch eine sehr romantische Person, der eine große Anziehung auf Frauen ausübt, warum glaubt er dann, er müsse zu einer Prostituierten gehen? Warum tut er sich das an? Dadurch, daß am Anfang der Szene ein Echo der Tangomusik nachklang, wurde sie so melancholisch, wie sie nach meiner Ansicht sein sollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen