: Grüne: Gutachten stellt Bahnplanung in Frage
■ Berliner Mitte im Jahr 2000: Fahrgäste fehlen/ Zentralbahnhof ist unsinnig
Berlin/München. Für die geplante U5 und S21 unter dem Regierungsviertel wird es vermutlich nicht genügend Fahrgäste geben. Auszüge einer entsprechenden Prognose für das Jahr 2000, die im Auftrag der Senatsverkehrsverwaltung erarbeitet worden ist, präsentierte gestern die Fraktion Bündnis 90/Grüne. Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion, folgerte aus dem Zahlenwerk, die beiden geplanten 2,3 Milliarden Mark teuren unterirdischen „Regierungsbahnen“ würden so wenige Kunden befördern, daß für diese zwei neue Tram-Linien für 230 Millionen Mark völlig ausreichen würden.
Der Abgeordnete kolportierte Gerüchte, nach denen es in der Verwaltung bereits Überlegungen gebe, aufgrund der Gutachterergebnisse auf die U5 und S21 zu verzichten. Da ohne die beiden Linien der geplante Zentralbahnhof an der Lehrter Straße mit öffentlichen Verkehrsmitteln aber nur schlecht zu erreichen wäre, sei der Umsteigebahnhof verkehrspolitisch völlig unsinnig. Aus Kostengründen und auch wegen stadtplanerischer Aspekte forderte Cramer gestern den Senat und die Bundesregierung auf, auf das Mammutprojekt zu verzichten. Alternativ solle ein dezentraler Eisenbahnring mit mehreren Bahnhöfen realisiert werden.
Die Verkehrsverwaltung hat die Münchner Intraplan Consult GmbH beauftragt, Kosten und Nutzen der U5 und S21 gegenüberzustellen. Von dem Ergebnis hängt ab, ob der Bund die Investitionen in Höhe von 2,3 Milliarden Mark zu etwa zwei Dritteln trägt. Cramer schloß aus dem Gutachten, daß Berlin nun den Bau der beiden Linien und der Tunnel unter dem Tiergarten in voller Höhe tragen müsse, da offenbar nur ein geringer Bedarf zu erwarten sei.
Die Intraplan relativierte die Aussagen ihres Gutachtens. Die von den Grünen veröffentlichte Prognose sei ein erster Ansatz, sagte Verkehrsplaner Utz Senger der taz. Es stimme zwar, daß die Kapazitäten der heute vorhandenen Bahnen im Regierungsviertel auch im Jahr 2000 nicht ausgeschöpft seien, die geplante U5 und S21 sei in dem „Mengengerüst“ noch nicht enthalten. Mit Ergebnissen über den gesamtgesellschaftlichen Nutzen könne erst im Sommer gerechnet werden, so Utz. Von der Verkehrsverwaltung selbst war bis Redaktionsschluß keine Stellungnahme zu erhalten.
Durch die Intraplan-Prognose bestätige sich auch, daß seit Fall der Mauer ausgerechnet unbedeutende Projekte vorangetrieben worden seien, warf Cramer dem Verkehrssenator vor. Dazu zähle die Verlängerung der U2 in Pankow sowie die der S-Bahn nach Wartenberg. Wichtige Projekte wie Tram-Anschlüsse am Alex oder die Verlängerung der U1 zur Warschauer Brücke seien dagegen vernachlässigt worden. Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen