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Kein Land in Sicht

Autoscooter im Spreewaldbad—Immer wieder gern dabei:  ■ Waltraud Schwab

Wenn man sie kommen sähe, dann hätte man eine Chance. Schnell die Beine zusammengepreßt, die Arme in der selbstantrainierten Überwassertechnik nach vorne gestreckt und so die weitausholenden Meisterschwimmer vorbeilassen. Aber nichts da, schon sitzt sein Fuß wieder in meinem Bauch, und bevor ich Luft schnappen kann und zum Brüllen aushole – „Du Arsch, kannste nicht aufpassen“ – taucht er zehn Meiter weiter mit seinem Kopf ins Wasser.

„Dich krieg' ich“, denke ich und „aus dem Weg geh' ich keinem mehr“. Entschlossen die Beine so weit wie möglich auseinandergeschlagen, die Arme auch. „Anders siehst du hier kein Land“, denke ich, schwimme dabei weiter Wellenlinien, um niemandem in die Quere zu kommen, als könne man eine Strategie haben und sich gleichzeitig den größten Konzeptionsfehler überhaupt leisten.

Fünfhundert Meter sind zu schaffen und verbissen wird weitergemacht – bis zum nächsten harten Schlag. Diesmal war ich's. „Tschuldigung“, rufe ich einer Komplizin zu, während sie „kannste nicht aufpassen“ schreit. „Mach' seit fünf Minuten nichts anderes und bin schon total kaputt“, brülle ich zurück, und weil ich nicht vorwärts geschaut habe dabei, wirft sich eine rückwärtsschwimmende Riesenschildkröte über mich, dreht sich um, taucht ab und verschwindet. Wer von den Platzhirschen lernen will, darf nicht nachgeben.

Da fällt mein Blick auf die abgesperrte Bahn, die normalerweise von Vereinsschwimmern eingenommen wird, und voll des Neids sehe ich zivilisiert Runden drehende, glänzende Oberkörper, von denen bei jedem Auftauchen das Wasser neu abperlt. Die Bahn ist frei, die Vereine haben sich verzogen. Ich tauche unter den rot-weißen Kugeln des Seiles, das die Trennung markiert, durch und schwenke wie auf einer Autobahnauffahrt in den Rhythmus der anderen ein.

Als Hindernis sofort erkannt, werde ich von den gutgeölten Leibern in rasendem Tempo überholt, vorausgesetzt, die Überholspur ist frei. Und plötzlich – Jesses Maria, ich merk's mit einem Schlag – die Männer denken, sie sind auf einer Autobahn. Ihr Atmen ist Motor und Auspuff gleichzeitig, ihr Blick – oder das, was davon übriggeblieben ist durch die Brillen – geht stur geradeaus. Die Motorik der Männer hat sich der Straße angepaßt; eine seitliche Begrenzung genügt, um den Mechanismus in Köpfen in Gang zu setzen. Da aber, wo es keine wiedererkennbaren Zeichen gibt, glauben sie (ja, es ist wohl eine Glaubenssache!), es handele sich um eine Art Freibrief für ehemalige Freischwimmer, um eine Freikarte für das Wasserboxauto.

Resigniert schwimme ich ihnen hinterher, bis ich erneut einen Stau verursache. Bemühe ich mich sehr um Beschleunigung, bleibe in regelmäßigen Abständen wieder dezent am Rand stehen, und staune die eintauchenden und nach Luft schnappenden aufgerissenen Mäuler an, die sich drohend auf mich zubewegen. Alle tragen sie schwarze enge Bademützen aus Plastik und schwarze Schwimmbrillen. Riesige Schmeißfliegen, die mit ihren hervorstehenden Augen das Eintauchen üben.

Verstohlen schaue ich auf die Uhr und setze mir ein letztes bescheidenes Limit: „Nicht länger als fünf Minuten.“ Wenn die Insekten an mir vorbei sind, reihe ich mich erneut als letzte ein und schwimme zum anderen Ende.

Kurz vor dem Ziel bahnt sich neues Unglück an, denn die aquaphilen Mutanten haben sich an den Rand gesetzt, und ich steure unabwendbar auf ihre breitbeinig ausgestellten Genitalien zu. Platz zum Festhalten gibt es nicht, ausweichen geht auch nicht, bleibt nur weiterschwimmen oder mal so richtig mit der Faust gegen einen dieser Potenzbeutel fahren, damit sie wissen, was Luftschnappen heißt. Aus Mangel an Alternativen drehe ich um, schwimme ans andere Ufer, rotze gekonnt in die Abflußrinne und weiß mal wieder, warum ich Feministin geworden bin.

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