: "Keine Hoffnung auf diesen Staat"
■ Jugendliche aus Wedding, Tiergarten und Reinickendorf, deren Projekte vom ABM-Stopp betroffen sind, forderten beim Arbeitsamt Wedding Einzelgespräche / Statt dessen wurden Besuche vor Ort angekündigt
Wedding. Die Reaktion der Jugendlichen ist einmütig: „Das ist doch Scheiße“, „der absolute Schock“, „total unüberlegt und sinnlos“. Gestern früh zogen rund siebzig Jugendliche von ABM- Projekten aus Reinickendorf, Wedding und Tiergarten zum Arbeitsamt V in der Müllerstraße, um ihrem Unmut über den ABM- Stopp Luft zu machen. In Einzelgesprächen mit Arbeitsberatern wollen sie Klärung über ihre ungewisse Zukunft.
Die Idee für den Gang zum Arbeitsamt kam von der Jugendwerkstatt Reinickendorf, einer Einrichtung des Bezirksamtes, die für sechzig arbeitslose Jugendliche berufsvorbereitende Lehrgänge in Form von „ABM und Lernen“ durchführt. Sozialarbeiterin Kirsten Splettstößer weiß, daß das Arbeitsamt nicht die richtige Adresse für den Protest ist. Sie hat aber die Hoffnung, „daß der Druck nach oben weitergegeben wird“.
Weniger zuversichtlich sind die Jugendlichen selbst. Nicole vom Caritas-Projekt „Arbeit, Hoffnung, Zukunft“ (AHZ), einem Projekt zur Qualifizierung im Innenausbau, hofft „bei diesem Staat auf gar nichts mehr.“ Mit einem kräftigen Zug an ihrer Zigarette sagt sie das, was viele andere auch denken: „Rein logisch gedacht, müßte man den ABM-Stopp zurücknehmen.“ Die Mädchen eines Tiergartener Projektes haben Briefe an den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, an Arbeitsminister Blüm und Bundeskanzler Kohl geschrieben. Der 18jährige Mürsel von AHZ zerstörte als Reaktion auf den ABM- Stopp sogar den Ablagekasten, den er gerade in der Werkstatt baute.
Während die Jugendlichen die Flure des Arbeitsamtes mit Zigarettenqualm einnebeln und einzeln oder in Gruppen den genervten Bearbeitern ihre Ausweise in die Zimmer hineinreichen, erscheint Achim Tübbicke, Abteilungsleiter für Arbeitsvermittlung und -beratung, und bittet die Jugendlichen zu einem Info-Gespräch in den Betriebssaal. Erste lange Gesichter bei einigen Jugendlichen. Ihre Absicht, Einzelberatungen zu bekommen, ist gescheitert. Trotzdem folgen sie der Einladung.
Tübbicke versichert ihnen, „erste Schritte zur Weiterführung der Projekte in den nächsten Wochen und Monaten“ unternommen zu haben. Eine gewisse Überforderung angesichts der konkreten Fragen aber bleibt nicht aus. „Ob Änderungen bei der Anzahl der Ausbilder eintreten, kann man jetzt noch nicht übersehen“, so Tübbicke. Anette Sasse, Arbeitsberaterin für den Jugendbereich, will durch konkrete Zusagen für „Besuche vor Ort“ den Jugendlichen ihre Angst vor der Zukunft nehmen. Die Betroffenen der Jugendwerkstatt sehen jedoch angesichts der Tatsache, daß die ABM-Verträge zum 12. März auslaufen und erst einen Tag vorher der Besuch erfolgen soll, wenig Grund, optimistisch zu sein. Es interessiert sie weniger, daß einzelne Projekte unter neuem Namen über Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) weitergeführt werden sollen. Sie wollen konkrete Zusagen und werden auf Termine vor Ort vertröstet.
Viele Fragen bleiben nach dem halbstündigen Gespräch noch offen. Der 20jährige Wolfgang von der Jugendwerkstatt ist trotzdem erleichtert, zu Hause sagen zu können, daß er nicht ohne Finanzen dastehen wird. Barbara Bollwahn
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