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Wenn die UNO Somalia übernimmt

Die US-Intervention in Somalia neigt sich dem Ende zu. Jetzt sind die Vereinten Nationen am Zuge  ■ Von Dominic Johnson

Eigentlich sollte es ein stiller Abgang werden. Am 8. März, so die ersten Planungen, sollte der US-amerikanische General Robert Johnston das Kommando in Mogadischu an den türkischen General Cevik Bir übergeben. Ohne große Zeremonie wäre damit die US-Intervention in Somalia formal beendet. Der Oberbefehl der US- geführten internationalen Truppe ginge an die UNO über.

Es kam anders. Mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen somalischen Demonstranten und Soldaten der Interventionstruppe Ende Februar wurde der reibungslose Übergang immer fragwürdiger. Nun schlägt UNO-Generalsekretär Butros Ghali den 1. Mai als den Tag vor, an dem die Vereinten Nationen eine der größten Militärinterventionen der Gegenwart unter ihre Kontrolle nehmen.

Laut Plan wird die Stärke der Interventionsarmee in Somalia, zur Zeit etwa 32.500 Soldaten, bis Juni auf etwa 25.000 verringert. Während heute etwa 18.000 Amerikaner und 14.500 Soldaten aus anderen Ländern in Somalia stehen, sollen dann nur noch 3.000 bis 5.000 Amerikaner dort stationiert sein, einige davon als Schnelle Eingreiftruppen auf Schiffen in der Region. Der US-Einfluß bleibt erhalten: Als Stellvertreter des türkischen Oberkommandanten Bir ist der Amerikaner Thomas Montgomery vorgesehen; der gegenwärtige Somalia-Beauftragte der UNO, der Iraker Ismail Kittani – der den USA jüngst die Nichterfüllung ihrer Mission vorwarf – wird seinen Posten demnächst aus „Gesundheitsgründen“ aufgeben und soll von einem US-Amerikaner ersetzt werden. Somit wird UNO- Militärkommandant Bir einem US-Beamten unterstehen, der die Gesamtkontrolle innehat.

Die UNO-Truppe wird aus Blauhelmen bestehen, die das Recht erhalten sollen, zur Erfüllung ihres Mandats das Feuer zu eröffnen. All diese Modalitäten sind Bestandteil eines Berichts von UNO-Generalsekretär Butros Ghali an den Weltsicherheitsrat, der letzterem als Grundlage für eine demnächst zu verabschiedende Resolution dient.

Was wird die UNO mit Somalia machen? „Nicht Monate, sondern Jahre“, soll die Blauhelmtruppe in Somalia bleiben, sagte UNO-Beauftragter Kittani schon im Januar. Aber noch immer unsicher ist das Mandat der Truppe, zu dessen Erfüllung sie zu den Waffen greifen dürfen soll – ein Problem, das sich bereits bei der Planung des US- Einmarsches im vergangenen Dezember stellte.

Damals war ein offener Dissens zwischen Butros Ghali und dem Pentagon ausgebrochen. Der Streit ging darum, ob eine Zwangsentwaffnung somalischer Milizen zu den in der UNO-Resolution vom 29.11.92 genannten „notwendigen Mitteln“ gehörte, mit denen ein „sicheres Umfeld für humanitäre Hilfslieferungen“ geschaffen werden sollte. Während die UNO meinte, die US-Soldaten sollten Entwaffnungen auch gegen den Willen der Somalis vornehmen, erklärte sich das US-Militär lediglich bereit, aufgefundene Waffen zu beschlagnahmen.

Noch heute schwelt der Streit weiter. Die UNO will ein befriedetes Somalia übernehmen, aber die USA zeigen sich wenig bereit, die noch ausstehende Befriedung vorzunehmen. Die Blauhelme sollen, so Ghali, zur Sicherung des Waffenstillstands, zur Begleitung von Hilfstransporten, zur Rückführung von Flüchtlingen und zur Minenräumung eingesetzt werden; die noch ausstehende Entwaffnung der somalischen Kriegsfraktionen soll vorher vorgenommen worden sein. Dies sehen die US-Soldaten aber nicht als Bestandteil ihrer Mission an. Die Frage nach den Aufgaben der UNO in Somalia ist somit eng verknüpft mit der Frage, was die USA vor ihrem Abzug gemacht haben müssen.

Am präzisesten hatte sich dazu am 17. Dezember Herman Cohen geäußert, der alte und noch immer amtierende Afrika-Staatssekretär im US-Außenministerium. Die USA könnten aus Somalia abziehen, hatte er dem US-Kongreß gesagt, „wenn die betroffenen Regionen im Süden Somalias befriedet sind; wenn es in diesem Gebiet keine größere Bedrohung durch bewaffnete Gruppen gibt; wenn der Transport humanitärer Hilfe zur Routine geworden ist und der Hunger abklingt“. Die nachfolgende UNO-Truppe müsse „zu jedem Zeitpunkt stärker sein als jede potentielle Bedrohung durch bewaffnete Banditen, die von ihren Verstecken jenseits der Grenzen zurückkehren könnten.“

Es ist ein ehrgeiziges Programm, und es ist nicht einmal ansatzweise erfüllt. Bei einer Konferenz in Addis Abeba Mitte Januar hatten die 15 wichtigsten politischen Fraktionen Somalias die Bildung von Komitees zur Vorbereitung einer Versöhnungskonferenz am 15. März vereinbart. Obwohl sich diese Komitees nicht zu den vereinbarten Zeitpunkten haben treffen können, wurde der Termin 15. März noch vor einer Woche erneut bestätigt. Auf der Tagesordnung steht die Bildung einer Übergangsregierung. Das ebenfalls im Januar bekräftigte Prinzip einer graduellen Entwaffnung ist bisher nicht realisiert worden. Am 4. Februar setzte das US-Kommando in Somalia den 15 Konferenzfraktionen ein Ultimatum bis zum 15. Februar, um eine komplette Liste ihrer Militärstützpunkte und Waffenlager zu übergeben. Die Frist wurde bis zum 23. Februar verlängert und verstrich erneut folgenlos.

Die UNO erbt also ein Somalia, dessen wichtigste Fraktionen in alter militärischer Stärke und mit einem einmütigen politischen Auftrag dastehen und somit an Macht nur wenig eingebüßt haben. Da die UNO selbst über große Machtmittel nicht verfügt, wird sie wohl oder übel dem Konsens der somalischen Fraktionen zustimmen müssen. Dieser Konsens könnte darauf hinauslaufen, daß jede Fraktion ihr Herrschaftsgebiet unter Kontrolle behält und somit Somalia in weitgehend autonome Einzelregionen zerteilt wird; das einzige verbindende Element wäre dann die UNO-Verwaltung in der Hauptstadt Mogadischu.

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