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Alles total im Griff

Ansichten eines Popstars: Phillip Boa über Malta, Techno, Blumfeld, Bullshit, Boxer, das Böse, Neonazis und den Verfall der Menschheit. Ein Interview  ■ von Thomas Groß

„Es ist der Abschluß eines Kapitels, eines Lebensabschnitts; ein Vermächtnis, ein Gruß, ein Geschenk“ – mächtige Worte, mit denen sich Phillip Boa 1991 aus dem deutschen Musikgeschehen zurückzog, um, noch eben lässig ein Live-Doppelalbum in die Runde werfend, nach Malta auszuwandern. Inzwischen ist er aber zurück vom Mittelmeer und demnächst auch mit dem neuen Album „Boaphenia“ auf Tour. Wir trafen einen leicht entflammbaren Boa Ende Februar in Berlin.

taz: Das wievielte Interview bin ich heute?

Boa: Eins der ersten überhaupt, ich war vorgestern noch außer Landes. Mein Problem ist: Bei Interviews bin ich immer total unsympathisch, unsympathisch und arrogant. Jetzt bin ich das auch wieder, obwohl ich so gar nicht bin.

Wie ist das, wieder ins Business zurückzukommen, nachdem es vor drei Jahren nicht nur ein Abschied im Guten war?

Naja, drei Jahre ist übertrieben. Das war natürlich ein inszenierter Abschied, weil ich gerne mit den Medien spiele. Ich kenne das Business, und ich gehe da mit einer Art Haßliebe dran. Das war alles die Rolle des beleidigten Popstars, was mir 'ne Stunde nachdem ich's geschrieben hatte, auch klar war.

Was treibt man denn so als Boa auf Malta, so im Alltag, meine ich?

Malta ist 'ne häßliche Insel, überbevölkert, hat 'ne wahnsinnige Geschichte. Sämtliche kriegsführenden Nationen haben ihre Gelüste auch noch an diesem kleinen Eiland ausgelassen, von Napoleon bis Mussolini, Hitler et cetera und die Türken früher, und die Karthager und Phönizier. Alles das spürt man da irgendwie, man spürt die Geschichte, und man spürt auch den Verfall der Menschheit. Ansonsten stehe ich auf, frühstücke, besuch' meine Freunde. Dann muß ich arbeiten, muß Texte schreiben, ich schreib' an einem Roman, der ungefähr in zehn Jahren rauskommen wird. Vielleicht leg' ich mich auch mal an den Strand. Ich versuche, ein bißchen wegzukommen von dem sturen, intoleranten Deutschen, der in fast jedem – ich will dir das jetzt nicht unterstellen! – drinsteckt.

Gibt es auf Malta eine Diskothekenszene mit Anschluß an Rave und Techno, so wie auf Ibiza?

Ja, nur englische DJs, schrecklich stupide Techno-Musik.

Ich dachte, Techno sei ein neuer Einfluß für dich.

So einfach denk' ich nicht. Ich verarbeite alles, was es gibt an neuen Technologien, sprich: Sampling usw., die Musiktrends, die da sind, sei es Grunge, Techno, Ambient, Jazz oder New Jazz, um nicht altmodisch zu werden. So hab' ich das auch mit Techno gemacht. Eigentlich bin ich mehr ein HipHop-Freak, Ice-T, NWA, Public Enemy, aber Techno hat eine Faszination auf mich ausgeübt durch die Brutalität und die totale Eliminierung von allem, was irgendwie Gefühl ist.

Wie war der Blick auf Deutschland von außerhalb?

Ich beobachte immer alles. Ich lese die deutschen Medien, kann auf Malta sogar MTV sehen. Ich habe alles total im Griff, was so abgeht. Was die Musik angeht, krieg ich auch einiges zugeschickt.

Was sind momentan die maßgeblichen deutschen Bands?

Das sag' ich nicht, mit der Frage bin ich zu oft reingelegt worden, von Magazinen, deren Namen ich lieber nicht nenne. Wenn ich jetzt zehn Bands nenne, dann kommt wieder die Überschrift: „Boa: Es gibt nur drei gute deutsche Bands“. Das einzige, was ich sagen kann, ist, daß es hier nicht weniger Talent gibt als zum Beispiel in England.

Wenn ich einfach mal Name- dropping mache und sage: Blumfeld, Captain Kirk, die sogenannte Hamburger Schule, die im Moment wohl am ehesten die progressive Jugend auf ihrer Seite hat...

Welche Jugend? Die 8.000 Spex-Leser? Vergiß es! Interessiert doch keinen. Es ist wichtig, daß es die unabhängigen Labels gibt, aber die Impulse entstehen nicht da. Die Hamburger Schule hat immer diesen Hamburger Humor, den kein anderer versteht. Von einer Band namens Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs hab' ich mal ein Video gesehen, sehr teutonisch, das hatte was. Ich finde es auch gut, daß Snap ein deutsches Produkt ist, einfach um dem angloamerikanischen Markt was entgegenzusetzen. Wer alles gut im Griff hat, ist Westbam. Aber so was wie Lassie Singers... kann ich nicht verstehen. Es ist schön, wenn 'ne Band mal wieder deutsch singt, aber das ist doch eher Musik von Journalisten für Journalisten oder solche die's gerne wären. Nenn mal bessere Beispiele...

Für mich als Journalisten waren das schon die wichtigsten. Aber wenn ich dich so höre, scheint immer noch zu gelten, was du mal zu „Prinz“ gesagt hast: „Ich will endlich als der akzeptiert werden, der Rockmusik für die Neunziger versucht.“

Bullshit! Hab' ich das gesagt? Da sieht man, was man sich, wenn man keine Lust hat, Interviews zu geben, so rausschraubt. Ich bin mittlerweile sehr mediterran geworden, mir ist es egal, ob einer einen akzeptiert oder nicht. Aber soweit mußte ich auch erst mal kommen.

Im Promoblatt zu „Boaphenia“ ist von einer „bitteren Attacke auf unsere pervertierende Überflußgesellschaft“ die Rede. Ist dein neues Album also ein Konzeptalbum?

Also, ich muß sagen, daß ich das Info nicht geschrieben habe, sondern ein Journalist...

Wer schreibt die denn immer?

... den ich aber sehr schätze. Wenn der das so sieht... Sagen wir mal: Was du vorgelesen hast, trifft auf einige Songs zu, so was wie „Get terminated“, das ist einfach makaber, zeigt, wie ich die Gesellschaft sehe. Aber ein Konzeptalbum? Nee, auf keinen Fall.

Man kommt halt auf so Ideen. Zum Beispiel wegen des Titels, der auf The Who anspielt. Manche Stilelemente sind mir aber auch dunkel geblieben. Der Boxer mit dem Peace-Zeichen auf dem Cover, was soll das bedeuten?

Das ist mein Hund, den ich auf Malta habe, und das Interessante an dem Hund ist: Jeder denkt, das ist 'n Killerhund. Ist aber superfriedlich. Das bin ich, der Hund. Ich bin sehr böse und gehässig, kritisiere sehr viel, finde vieles pervertiert und unethisch und so weiter. Aber in Wirklichkeit bin ich vielleicht lieb. So würde ich mich selber sehen. Das ist auch die Provokation, die da drinsteckt.

Hab' ich das richtig gesehen, daß du auf dem Innencover die Hand zum Satansgruß erhebst?

Stimmt.

Und was will das meinen?

Naja, was das halt heißt: I will evil you. Ich bin überzeugt, daß es so was gibt wie Teufel und ein Leben nach dem Tod und daß ich theoretisch oder auch speziell, durch Medien, Kontakt aufnehmen kann mit Toten. Wobei ich mich aber nicht näher damit befassen will, weil sonst würd' ich verrückt werden, also geisteskrank. Das ist, sagen wir mal, Liebhaberei, ein bißchen auch inspiriert von Leuten wie Ice-T, diese Provokation mit „Cop Killer“, die keiner verstanden hat, mit dem Bösen zu spielen, um das Böse zu besiegen. Ich mache Dinge, und in zehn Jahren weiß ich, warum ich sie mache, aber wichtig ist, daß ich sie mache. Ich muß Angriffsfläche bieten... Ich hab' übrigens auch 'ne andere Einstellung gegenüber Neonazis. Wenn du dein Ding ausmachst, dann sag' ich dir, was man mit denen machen sollte.

Natürlich interessiert hier mehr, was auf dem Ding da drauf ist.

Das ist klar. Aber das wäre zu gefährlich, das zu äußern.

Gemessen an dem, was du wohl sagen willst, ist das Album aber relativ wenig „explizit“...

Das ist deine vollkommen falsche subjektive Meinung. Der Typ vor dir – wie hieß er noch gleich? Erdmann oder so – hat das Album als sehr aggressiv bezeichnet. Aber egal, für mich ist es ein wichtiges Stück Arbeit, was andere sich anhören und gutfinden sollten. Ich will damit was erreichen, vielleicht auch ein Stück politische Bildung. Ich stehe sehr hinter der Arbeit, und wenn jemand das nicht findet, soll er zum Beispiel auch kein Interview mit mir machen.

Ich kann dir ja mal sagen, auf welche Einflüsse ich durch freies Assoziieren im Selbstversuch mit der Platte gekommen bin. Es waren, in dieser Reihenfolge: Beatles, Abba, Bowie, Westbam, Status Quo und Modern Talking.

Wenn ich jetzt irgendein Songwriter aus Amerika wäre oder auch aus England, würdest du das nicht wagen. Das geht nur bei deutschen Künstlern. Deine Äußerung ist zutiefst von Unkenntnis der Musik durchsetzt. Blödsinn, mit anderen Worten.

Na, ein Provokateur muß sich doch auch ein bißchen Provokation gefallen lassen.

Bowie hast du sehr gut erkannt, Beatles ja, Abba... vielleicht auch. Aber Modern Talking ist Blödsinn. Aber ist sehr deutsch, was du da machst: Schubladen. Der Deutsche denkt in Schubladen. Das mit Modern Talking ist Bullshit! Das ist 'ne Beleidigung! Modern Talking! Also wirklich! Bullshit!! Vergiß es, ich glaube, wir brauchen nicht weiterreden.

„Boaphenia“ ist aber doch ein relativ straightes Pop-Album...

Bullshit!!

... bei dem alles Experimentelle eher an den Schluß verbannt ist...

Das stimmt. Aber ein Stück wie „Hyperactive Cracker“ paßt nicht zu einem Pop-Album, wobei ich nicht genau weiß, wie du „straightes Pop-Album“ jetzt definierst, ob positiv oder negativ. Wär' ich auf einem Indie-Label, würdest du zu einer ganz anderen Einschätzung kommen, das unterstell' ich dir!!

Wie erwartest du denn, daß man sich mit deiner Musik auseinandersetzt?

Ernsthaft! Und ohne Vorurteile. Ich lehne Musik ab, die als Priorität hat, viele Platten zu verkaufen, weil das bei mir höchstens an dritter Stelle steht. Selbstverwirklichung ist Punkt eins. Ich muß und will auch populär sein, was ich verwirklichen will, ist etwas teuer, und ich reise gern. Das geht alles nur, wenn die Plattenfirma mich finanziert. Wenn meine neue Platte nur 20.000 verkauft hätte – was nicht geht, weil allein die Vorbestellungen dreimal so hoch sind–, tja, dann wäre ich in keiner guten Situation. Ich will aber kein dummer Talkshow- und Ratespielmusiker werden, da hab' ich nun 'nen Horror vor. Ich habe auch eine gewisse Verantwortung. Die Leute in der früheren DDR zum Beispiel kannten uns schon vor dem Mauerfall. Ich bekomme auch soviel Post, die ich beantworten muß, weil sie von Selbstmorddrohungen bis hin zu konkreten Fragen reicht wie: Soll ich nun ein Neonazi sein? Dazu muß ich Statements abliefern. Wenigstens da kann man irgend etwas bewegen, obwohl es sehr schwer ist, sich zu äußern, ohne so ein Udo Lindenberg zu werden. Na ja, da will ich mal lieber stoppen.

Wie war denn die Zusammenarbeit mit Tony Visconti als Produzent?

Gut. Sehr positiv. Viel von Bowie geklaut. Bei Bowie hat er ja immer die Refrains gesungen und in der Band zu Zeiten von „Ziggy Stardust“ die Bässe gespielt. Erst mal ist er aber gar nicht zurechtgekommen mit den vielen Hi-Hats und Bass Drums bei mir, weil normalerweise gibt es eine Rock-Aufnahme, da ist eine Bass Drum drauf, oder eben Dance Music, da sind dann meinetwegen drei Hi- Hats drauf und zwei Bass Drums, aber es gibt keinen, der fünf Bass Drums hat und vier Hi-Hats und dann noch 'nen Schlagzeuger. Das war schon ein sehr schwieriger Prozeß, den Tony gut realisiert hat. Ich komm' mit 'nem Band, und das Band ist sehr teutonisch, sehr schwer, bißchen steif, designed, kalkuliert, dann kommt Tony und macht das ein bißchen angloamerikanisch luftig. Bei der Single „Love On Sale“ hat er den Baß und die Gitarren gespielt, und er bringt dann eben so ein Sixties-, Seventies-Feeling rein, wall of sound.

Ihr geht demnächst auf Tour. Wie wird der Sound live umgesetzt?

Wie immer. Das ist schon seit zwei, drei Jahren so, daß wir live Sampler einsetzen. Wir spielen dann die Dance-Elemente, die drin sind, auch live. Was ich bei vielen Dance- oder Rap-Acts nicht gutfinde, ist, daß sie einfach ein Tonband laufen lassen und dazu rappen. Es geht auch anders. Und das versuchen wir. Die Sequenz wird dann angetriggert über Pads und so weiter, dazu brauch' ich zwei Schlagzeuger und zwei Keyboarder, die die Dance Musik mit der Hand spielen.

Von der Ur-Besetzung des Voodoo Clubs ist außer Pia Lunda niemand mehr übrig. Warum sind die ganzen Dortmunder Jungs rausgeflogen, „Der Rabe“, „Voodoo“ und wie sie alle hießen?

Ich mußte zu viele Kompromisse machen, habe andere Leute kennengelernt, die jetzt in der Band sind. Das mit den Schlagzeugern hat sich dann eben getrennt...

Wegen sogenannter „künstlerischer Meinungsverschiedenheiten“?

Es waren auch menschliche. Einer von beiden hat zum Beispiel noch nie im Leben ein Buch gelesen. Und mit dem wollte ich dann irgendwann nicht mehr meine Ideen teilen. Jetzt hab' ich viel mehr Freiheiten. Teilweise sind die Schlagzeuger jetzt Maschinen, teilweise Schlagzeuger, die gegen Maschinen ankämpfen, und da hab' ich halt solche genommen, die den Druck haben und technisch dazu in der Lage sind, sich gegen Computerbeats zur Wehr zu setzen.

Was liest du denn selbst im Moment?

Gleichzeitig ein John -Lennon- Buch und eins von Anthony Burgess. Dann hab' ich Bücher, wo ich immer mal reinkucke, ob es nun Nietzsche ist oder, wie heißt die Frau noch mal, Françoise Sagan, ich blättere eben so'n bißchen rum.

Welches Lennon-Buch? Das von Goldmann?

Nee, das von May Pang, heißt „The Lost Weekend“. May Pang ist ja die Frau von Tony Visconti. Pia hat das von Goldmann gelesen, angeblich entspricht es nicht der Wahrheit.

Projekte für die nächste Zeit?

Oh ja, jede Menge, aber da rede ich nicht drüber. Und dann gibt es eine Menge Sachen, für die ich mich noch zu jung fühle, zum Beispiel Experimentalmusik. Wenn ich jetzt sage Stockhausen, bin ich wieder ein Angeber, aber ich möchte eine Platte machen mit Hans Reichel, einem Jazzmusiker aus Wuppertal, der eigene Gitarren baut und in Japan sehr erfolgreich ist, und anderen. Erst mal muß aber die Popmusik in mir ausgelebt werden. Irgendwann werd' ich auch versuchen, eine neue klassische Musik zu machen, na ja, das mach' ich, wenn ich 45 bin oder 50.

Was heißt „neue klassische Musik?“

Hm, sag mir mal den Ausdruck... Jetzt hat es zum Beispiel ein Pole geschafft, wie heißt er noch mal... Hendrik... also zu komponieren, also 'ne Symphonie zu machen, aber natürlich sehr individuell, also nicht wie Wagner oder Mozart, sondern neo, na ja, klassische Musik zu machen auf 'ne eigene Art. Außerdem gibt's noch andere Pläne, zum Beispiel der Roman, aber für'n Romanschreiber muß man mindestens 40 sein.

Für Arno Schmidt lag die Schwelle noch bei gnädigen 30...

Ein Freund von mir ist Schriftsteller, und der macht sich immer älter. Er lehrt an der Uni Düsseldorf, und von Arno Schmidt klaut er, glaub' ich, alles, was er macht. Bevor ich selber den Roman veröffentliche, muß ich sicher sein, daß er gut ist. Ich möchte mich nicht blamieren mit einem weiteren Kapitel „Rockmusiker versucht, Bücher zu schreiben“. So was geht ja meistens ziemlich in die Hose.

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