Der Kongreß tagt doch

■ Oberstes Verfassungsorgan Rußlands tritt am Mittwoch zusammen

Moskau (AP/AFP) – Nach heftigen Debatten hat der Oberste Sowjet Rußlands am Freitag mit großer Mehrheit beschlossen, zur Lösung der seit Monaten andauernden Verfassungskrise für den kommenden Mittwoch den Volksdeputiertenkongreß einzuberufen. Am Vortag war eine solche Sondersitzung des höchsten Legislativorgans der Russischen Föderation noch auf Ablehnung gestoßen. Die Entscheidung fiel mit 138 gegen 31 Stimmen bei sieben Enthaltungen. Demnach wird der Volkskongreß nun auch darüber zu befinden haben, ob die von Jelzin für den 11. April aberaumte Volksabstimmung über eine neue russische Verfassung stattfinden soll oder nicht. Der stellvertretende Parlamentspräsident Nikolai Riabow erklärte vor dem Obersten Sowjet, daß sich 66 Regionalparlamente gegen dieses Referendum ausgesprochen hätten. Da jedoch der Deputiertenkongreß im Dezember eine solche Abstimmung selbst in Erwägung gezogen habe, sei auch nur er befugt, dies wieder rückgängig zu machen.

Der Zeitpunkt für die Einberufung des Deputiertenkongresses ist bedeutend für den Termin des Referendums, falls es doch noch stattfinden soll. Nach der russischen Verfassung muß der Wortlaut des zur Abstimmung stehenden Textes 30 Tage vorher veröffentlicht werden. Sollte der Kongreß also nicht schnell zu einer Entscheidung kommen, könnte der 11. April nicht eingehalten werden.

Die Reformgegner im Obersten Sowjet verlangten auch am Freitag ein persönliches Erscheinen Jelzins, um zu seinem Treffen mit dem russischen Sicherheitsrat am vergangenen Mittwoch Stellung zu nehmen. Es stand allerdings bereits fest, daß der Präsident der Sitzung aus Termingründen fernbleiben würde. Oberstleutnant Stanislaw Terechnow, der Vorsitzende eines reformfeindlichen Offiziersverbands, sagte, Jelzin habe vor diesem Sicherheitsgremium seine Pläne dargelegt, die Verfassung außer Kraft zu setzen und per Erlaß zu regieren. Dies wurde von Präsidentensprecher Alexander Orfionow als „purer Unsinn“ zurückgewiesen.

Der russische Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin hat bei der Eröffnung einer außerordentlichen Kabinettssitzung bekräftigt, daß die Regierung „geschlossen“ hinter Präsident Boris Jelzin stehe. Die Sitzung war von Jelzin aufgrund der Verschärfung der politischen Krise einberufen worden. Die Minister sollten die Position der Regierung vor dem außerordentlichen Volksdeputiertenkongreß vorbereiten. Weiter erklärte Tschernomyrdin, es sei Zeit, „mit der anormalen Situation Schluß zu machen, in die das Parlament die Regierung mehr und mehr drängt“.