Stasi-Auftrag: „Das Objekt Fürst liquidieren“

■ Heute beginnt ein Prozeß gegen Ex-Stasi-Offiziere wegen Mordversuchs

Berlin (taz) – Dr. Albert Schubert wurde deutlich: Rundheraus fragte der frühere Generalmajor und Leiter der Stasi-Hauptabteilung VIII (Observationen) seinen Gesprächspartner Heinrich Schneider (63), ob dieser bereit sei, „für uns jemanden umzulegen“. Der Gefragte, ein vorbestrafter Kaufmann, willigte ein – der Pakt für den bislang einzigen dokumentierten versuchten Auftragsmord des früheren Staatssicherheitsdienstes der DDR war besiegelt. Opfer sollte der Westberliner Siegfried Schulze sein.

Als Mitglied einer „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ hatte Schulze wiederholt mit Sprengstoffanschlägen auf die Mauer, mit Plakataktionen und mit Hungerstreiks für politische Häftlinge die DDR provoziert. 1974 beschloß die Stasi, das „Objekt“ mit dem Tarnnamen „Fürst“ zu „liquidieren“.

Die Akteure von damals stehen von heute an vor dem Berliner Kammergericht. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft wirft dem 69jährigen Schubert und dessen Untergebenem, Oberstleutnant Hans Kusche (63), Mordversuch und geheimdienstliche Agententätigkeit vor, ebenso wie ihrem Helfer Schneider („IM Rennfahrer“). Weil die Hauptabteilung VIII in die „Desinformationskampagnen“ des Auslandsspionagedienstes „Hauptverwaltung Aufklärung“ eingespannt war, wird auch gegen deren letzten Leiter, Karli Coburger (62), wegen Agententätigkeit verhandelt.

Nach umfangreichen Vorbereitungen lauerten, so die Ankläger, am 18. Februar 1975 um 1 Uhr 45 der „IM Rennfahrer“ und ein weiterer Stasi-Helfer, Josef Tuszynski („IM Karate“), Schulze in der Berliner Kurfürstenstraße auf. Der damals 38jährige „Karate“ habe dem arglosen Opfer zwei Handkantenschläge versetzt, die aber die beabsichtigte tödliche Wirkung nicht hatten. Schneider habe dann mit einer Pistole drei- oder viermal auf die Schläfen von Schulze eingeschlagen. Das Magazin flog dabei aus der Waffe. Schließlich drückte „Rennfahrer“ dem Überfallenen die Pistole in den Mund, drückte ab. Kein Schuß löste sich. Glück für Schulze: Während „Karate“ und „Rennfahrer“ das Magazin suchten, gelang ihm die Flucht. Seit Mitte 1975 ist er verschwunden.

Karatemann Tuszynski, gegen den gesondert ermittelt wird, soll im Mai 1981 einen weiteren Mordauftrag von Schubert und Kusche übernommen haben. Der in Hamburg lebende Fluchthelfer Julius L. sollte mit einer Autobombe ins Jenseits befördert werden. Im Oktober wurde „Karate“ dazu ein Sprengsatz und eine als Kofferradio getarnte Zündvorrichtung in Ostberlin übergeben. Wegen eines Staatsbesuches wurde kurze Zeit später die Aktion abgeblasen. Auch Pläne für ein Attentat im April und Mai des folgenden Jahres zerschlugen sich. Die Operation mit dem Decknamen „Parasit“ wurde im Sommer 1983 abgebrochen – die Stasi hatte erfahren, daß auch das BKA gegen Julius L. ermittelte.

Der „IM Rennfahrer“ war der Stasi nach Erkenntnissen der Ankläger 374.000 DM Agentenlohn wert. Bei den Olympischen Spielen 1972 in München sei er beauftragt gewesen, Vorbereitugen für die gewaltsame Verschleppung etwaiger Flüchtlinge aus der DDR-Mannschaft zu treffen. 1977 soll er an Plänen mitgewirkt haben, den geflohenen Trainer der DDR-Rudermannschaft in die DDR „zurückzuführen“. Ende 1983 erledigte er in Leverkusen „Aufklärungsaufträge bezüglich der nach einem Europapokalspiel geflüchteten DDR-Nationalspieler Götz und Schlegel“. Wolfgang Gast