: Christlicher Friedensdienst in der Krise
■ „Aktion Sühnezeichen“ versucht, die hausgemachte Finanzkrise in den Griff zu bekommen / Auszeichnung mit der Buber-Rosenzweig-Medaille
Berlin (taz) – Die Geschichte von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) ist die Geschichte einer permanenten Finanzkrise – schon seit der Gründung 1958, zu der die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aufrief, um ihr schlechtes Gewissen über den Abschluß des Militärseelsorgevertrages zu beruhigen.
Die jüngste Existenzkrise der Organisation, die sich bemüht, in Israel und in vielen europäischen Ländern ein „Friedenszeichen“ für die von den Nazis begangenen Verbrechen zu setzen, ist allerdings hausgemacht: wegen der Schuldenlast von einer halben Million Mark und offensichtlichen Mißmanagements mußte der erste Vorsitzende von Sühnezeichen, der Pfarrer Klaus Geyer, im Januar zurücktreten. Bilanzen und Haushaltspläne stimmten nicht; Kredite waren ohne Tilgungsplan aufgenommen worden.
Wirtschaftsprüfer der EKD hatten die schlampige Haushaltsführung schon seit Jahren kritisiert. Als im Oktober 1992 der Haushaltsplan für 1991 noch nicht erstellt war, verlor die EKD – neben verschiedenen Landeskirchen der wichtigste Geldgeber für ASF – die Geduld: die 500.000 Mark für 1993 wurden nicht ausgezahlt. Peter Kolmar, Pressesprecher der EKD, widerspricht Vermutungen, daß Sühnezeichen aus politischen Gründen nicht weiter unterstützt werden solle: „Die Idee und der Gedanke der Versöhnung sind gut und verdienen es, fortgeführt zu werden.“ Aber ohne einen Konsolidierungsplan, den Sühnezeichen selbst vorlegen müsse, sei eine Unterstützung seitens der EKD nicht möglich. Es hapert aber nicht nur bei den Finanzen, auch in der Personalpolitik wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht: als „geschäftsführende Theologin“, der wichtigsten Stelle für die inhaltliche Arbeit von Sühnezeichen, stellte der alte Vorstand eine Mitarbeiterin ein, die man nach einigen Monaten wieder entließ. Weil mit der Theologin keine Probezeit vereinbart worden war, mußte Sühnezeichen dieses Mißmanagement mit Prozeßkosten und einer Abfindung bezahlen.
Nicht ohne Grund spricht Jens Pohl, seit drei Wochen kommissarischer Geschäftsführer in der Berliner Sühnezeichen-Zentrale, von der „schwersten Krise“ seit der Gründung. Die Organisation habe im Januar kurz vor dem Ruin gestanden, sagt Pohl, doch jetzt sei wieder „Land in Sicht“. Der Vorstand mußte im Januar dieses Jahres sofort handeln, um den Verein mit 400 Mitgliedern und über 13.000 Förderern zu retten. Anfang Februar wurde Pohl mit der kommissarischen Geschäftsführung beauftragt, Ulrich von Trotha und Susanne Willems zu stellvertretenden Vorsitzenden gewählt und ein finanzielles Konsolidierungskonzept beschlossen. Das Gedenkstättenreferat, das sich zur Zeit an der Diskussion um die Neugestaltung von KZ-Gedenkstätten in der ehemaligen DDR beteiligt, wurde aufgelöst. Der zuständige Referent setzt seine Arbeit jetzt bei der Stiftung „Topographie des Terrors“ in Berlin fort. Die Freiwilligen-Dienste und die internationalen workcamps sollen aber als Kernbestandteile erhalten bleiben.
Ulrich von Trotha, gerade vier Wochen im Amt, glaubt sogar, daß die Existenz von Sühnezeichen mittlerweile nicht mehr bedroht sei: „Von einer Krise kann man sprechen, von Konkurs jedoch nicht. Wir sind jetzt wieder ein Verein mit einer normalen Haushaltspolitik.“ Optimistisch glaubt er, daß die Schulden bis 1995 getilgt sein könnten und die EKD ihre Zahlungen demnächst wieder aufnehmen wird. Der Vorstand hat Mitglieder und Förderer des Vereins aufgefordert, Darlehen für die Sanierung bereitzustellen, die drei Jahre in Anspruch nehmen soll.
Aber: Die Krise von ASF ist nicht nur pekuniär; inhaltliche Streitereien während des Golfkriegs, eine gewisse Orientierungslosigkeit nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus und Auseinandersetzungen um Sühnezeichen-Mitarbeiter mit SEW- Vergangenheit (Sozialistische Einheitspartei Westberlins) zehren an der Substanz der Organisation. Zwar versucht Sühnezeichen, sich in die Debatte um eine Militärintervention in Bosnien einzumischen oder gegen Ausländerfeindlichkeit politisch Stellung zu nehmen, aber gesellschaftspolitischen Einfluß hat der christlich-pazifistische Verein kaum mehr. Zum Sanierungskonzept gehört deshalb eine Arbeitsgruppe, die eine „aktuelle Zielbeschreibung“ von Sühnezeichen erarbeiten soll. Ulrich von Trotha: „Die Divergenzen im Vorstand haben dazu geführt, daß wir nicht mehr in der Lage waren, zu wichtigen politischen Fragen Stellung zu nehmen.“
Auftrieb dürfte den ASF-Mitstreitern die Buber-Rosenzweig- Medaille geben, mit der die Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit die Aktion Sühnezeichen am Sonntag in Dresden ausgezeichnet hat. Zwischen der schwierigen finanziellen Situation und der Auszeichnung gebe es keinen Zusammenhang, stellte Vorstandsmitglied Sabine Willems bei der Verleihung klar. Aktion Sühnezeichen bleibe weiterhin der Völkerverständigung verpflichtet. In diesem Jahr sollen 150 Jugendliche für 18 Monate in Israel, Europa, Rußland und den USA ein „Zeichen der Sühne setzen“. Rüdiger Soldt
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