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Nachschlag

■ „Victoria! Victor.“ im KAMA Theater

Victoria ist eine Frau, die vorgibt, ein Mann zu sein, der behauptet, er wäre eine Frau. Zugegeben: Das ist absurd. So absurd, wie Travestie immer absurd ist, und noch ein bißchen mehr. Im KAMA, dem kleinen musikalischen Privattheater im hintersten Winkel Kreuzbergs, ist es dann auch noch komisch. So komisch, wie Comedy immer komisch ist, und auch noch ein bißchen mehr.

Die Geschichte ist allzu bekannt: Arbeitslose Sängerin steigt in Männerklamotten, macht als Travestie-Star Karriere und stolpert am Ende über ihr weibliches Herz. Bereits zweimal wurde der verzwackte Comedy-Stoff erfolgreich verfilmt, im Jahr 1933 war Ufa-Star Renate Müller die androgyne Victoria, im Hollywood-Remake von 1983 schlüpfte Julie Andrews in die kesse Hosenrolle. Im KAMA anno 1993 will man es nun ganz anders machen: Katja Nottke ist nicht die kleine unbedarfte Provinzdohle, die sich am Ende der verworrenen Story in die Arme ihrer großen Liebe stürzt, diese Frau hat feministisches standing und politisches Bewußtsein.

Das tut dem munteren Treiben zunächst keinen Abbruch, witzig und mit überraschend hohem Tempo nimmt die Geschichte ihren Lauf. Toddy, schwuler Entertainer und auf der Suche nach einem neuen Partner, macht mit Raffinesse aus der unscheinbaren Victoria den russischen Fürsten Victor. Gemeinsam starten sie im Berlin der späten Weimarer Republik eine vielversprechende Karriere, sahnen gute Gagen und viel Champagner ab, und wäre da nicht Klein-Ganove King Schultz, dessen Herz für diesen seltsamen Victor entbrannt wäre – alles könnte so gut sein.

Aber leider kommt es nach der Pause dann doch ganz anders, als man denkt. Einmal mehr wird ein ambitionierter Autor – in diesem Fall Joachim Nottke – Opfer seines politischen Sendungsbewußtseins. Mit Macht und allzu offensichtlichen Mitteln will er der Verwechslungskomödie tieferen Sinn einhauchen. Nicht das Boy-gets-girl-Prinzip soll obsiegen, sondern die hehre Nazischelte. Aus den harmlosen Back-stage-Beteiligten werden plötzlich opportune Hitler-Jünger, die Toddy ins KZ bringen und Victoria nach dem ersten Liebestaumel ins wahre Leben zurückbugsieren. So treffen sich Claudio Maniscalo, der eine ganz ordentliche Fummeltunte abgibt, und Katja Nottke alias Victor alias Victoria am Ende der schmissigen Komödie auf dem Bahnhof wieder: Koffer in der Hand, Schal um den Hals, zelebrieren sie das traurig geläuterte Emigrantenschicksal.

Das hätte nicht sein müssen, wäre doch auch gar nicht nötig gewesen, schließlich birgt der tuntenverliebte Plot genug hintergründige Sozialkritik. So geht man dann leider wieder einmal mit diesem zwiegespaltenen Gefühl aus dem KAMA: professionelles Revuetheater, aber leider immer auch noch ein bißchen mehr. Klaudia Brunst

„Victoria! Victor.“: 15.-22.3. 19.45 Uhr (musikalischer Einlaß ab 19.00 Uhr) im KAMA, Schwiebusser/Ecke Friesenstraße.

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