■ Mit Engholm geht der Beziehungsknatsch in der SPD weiter
: Muß man ihn auch wegtragen?

„Daß eine Kommunalwahl zu personellen Konsequenzen (an der Parteispitze d. Red.) führt, wäre außergewöhnlich.“ Außergewöhnlich ist in der Tat bereits, daß ein Parteichef die Ergebnisse einer Kommunalwahl zum Anlaß nehmen muß, sich diese Frage zumindest rhetorisch zu stellen. Das Desaster in Hessen könnt ihr doch nicht im Ernst mir in die Schuhe schieben wollen! ist der unausgesprochene Gestus, mit dem Björn Engholm am Tag danach auftrat. Und doch, über personelle Konsequenzen wird – wenn auch noch hinter vorgehaltener Hand – diskutiert, und zwar vom Oberbürgermeister in Kassel bis zum Vorsitzenden.

Nicht zuletzt von der SPD waren die hessischen Kommunalwahlen in Erwartung einer sicheren Niederlage für die CDU zum bundesweiten Stimmungstest erklärt worden – genau zum richtigen Zeitpunkt, um einem angeschlagenen Kohl einen weiteren schweren Treffer versetzen zu können. Doch der Schlag ging daneben, und statt dessen wird, nur folgerichtig, Engholm angezählt. Trotzdem blieben die Kommunalwahlen sicher eine schnell vergessene Episode, wenn Engholm seine Partei davon überzeugt hätte, daß er willens und in der Lage wäre, Kohl 1994 zu schlagen. Bislang konnte er jedoch nicht einmal die erste Voraussetzung einlösen. Seit Björn Engholm zur Nachfolge Vogels getragen wurde, erinnern die Partei und ihr Kandidat eher an „Szenen einer Ehe“ als an eine Regierungsalternative. Eine Kette von Mißverständnissen, Verstimmungen, Mutmaßungen (Was will Engholm wirklich?) ersetzten klare politische Strategien. In der Asylfrage spaltete der vermeintliche Integrator die Partei, und beim Solidarpakt droht er den Rest an sozialdemokratischem Profil zu verspielen. Hilflos schreit die Partei nun nach einer Opposition, die sich dem Wähler als tatsächliche Alternative präsentiert, doch so schnell kommen Engholm und Klose aus der Politik der großen Koalition nicht heraus. Ab Donnerstag werden sechzehn Ministerpräsidenten, von denen eben einige der SPD angehören, mit der Bundesregierung über die Mittel für die Bekämpfung des Aufstands Ost streiten. Vorhersehbares Ergebnis sind steigende Schulden und verwirrte Wähler.

Noch einen Tag vorher wird in Kiel ein neuer Untersuchungsausschuß eingesetzt. Thema: Waren die Opfer der Barschel-Affäre vielleicht doch Mittäter? Bis zum Herbst wird diese Veranstaltung wöchentlich den Engholm-Nimbus des moralischen Menschen in Frage stellen. Selbst wenn sich keine direkte Verwicklung in die Affäre nachweisen läßt, das Bild Engholms wird nicht mehr dasselbe sein. Seit dem Machtverlust von Helmut Schmidt hat die SPD zweimal Kandidaten ins Rennen geschickt, die sie selbst nicht getragen hat. Mit Engholm geht der Beziehungsknatsch weiter. Jürgen Gottschlich