piwik no script img

Avanti donne! Von Thomas Pampuch

GAU im Feriengau? Was sich seit einer Woche in der Schweiz abspielt, ist mit größter anzunehmender Unruhe sicherlich nicht übertrieben beschrieben. Trotz guter Skiverhältnisse und ohne Baisse im Waffen- oder Käsehandel ist das Lieblingsland aller Schoggi-Esser, Berufsdiktatoren und Bergfreunde derzeit in einer seiner hoffnungsvollsten Krisen, seit 1864 die Schweizer Sektion der I. Internationale gegründet wurde. Aber nicht um Arbeitermacht wie damals geht es, sondern um Frauenpower: Christiane Brunner, eine sympathische Frau aus Genf, Gewerkschaftlerin, Sozialdemokratin, Armeegegnerin und Blondine mit „verbrannten Dauerwellen“ (O-Ton Coiffeursalonbesitzer Arnold, Zürich) ist zum Symbol des Widerstands gegen das allerletzte Bollwerk des naturreinen Patriarchats geworden, das sich in der Mitte Europas gehalten hat wie in anderen abgelegenen Berggegenden nur der Wolperdinger oder Graf Dracula.

Seit Frau Brunner Mittwoch vergangener Woche von der Schweizer Nationalversammlung als Bundesrätin (entspricht einem Ministerposten) abgeschmettert wurde, ist offenbar geworden, daß die sogenannte „Zauberformel“, nach der seit 34 Jahren eine Koalition von Schmerbäuchen und Industrielobbyisten aller Parteien die Schweiz regiert, sich auf rein männlichen Zauber beschränkt. Der weibliche soll gefälligst draußenbleiben. Die bürgerlichen Parteien (vielleicht auch manche SP-Männer) akzeptieren vielleicht einen welschen Formel- Sozi. Aber eine Frau im Kabinett, und noch dazu eine kesse, das geht zu weit.

Da haben sie allerdings die Rechnung ohne die Wirtin gemacht, die Schweizer. Unsere Zürcher Gewährsfrau und Beobachterin der Schweizer Bundespolitik, Heidi (ihre Welt sind die Zwerge), konnte uns stolz mit völlig neuen Formen der direkten Demokratie bekanntmachen. Da schmissen empörte Frauen Farbbeutel und WC-Rollen aufs Bundeshaus, da kamen 8.000 am Samstag zum Zürcher Münsterhof und feierten die Christiane, da regten sich in jeder Berghütte die etwas intelligenter dreinschauenden Sikfahrer und -fahrerinnen über den „Schkandal“ auf, und da gab es am Sonntigabed auf DRS 1 und 3 eine fetzige Debatte von Schweizer Frauen. Avanti Populo wurde in Avanti donne umgesungen, ein Frauenschattenkabinett, nein, „Sonnen“-Kabinett angeregt, ein Steuerboykott gefordert, kurzzeitig sogar die Lysistrata- Variante erwogen. Die Schweiz, amüsanterweise eines der wenigen Länder weiblichen Geschlechts, ist in Aufruhr, den „Mischler-Machos“ geht's an ihre Schwanzli, und nur ein so reaktionäres Blatt wie die Neue Zürcher Zeitung wagt es, angesichts der Proteste von einer „Geringschätzung des Wahlgremiums“ zu greinen. Von der Geringschätzung der Schweizer Frauen schwieg sie.

Was am Fall Brunner so erstaunt, ist die Unverschämtheit, mit der die Schweizer Politiker ihr Kabinett frauenrein halten. Vielleicht hat das sogar sein Gutes. Reine Alibifrauen werden es ab jetzt schwer haben in der Schweiz. Und vielleicht tut es auch der Schweizer SP (die nun aufgerufen ist, sich voll hinter ihre Christiane zu stellen) ganz gut, wenn sie mal die Hosen runterlassen muß. Und einen Rock anzieht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen