piwik no script img

Opfer zu Tätern gemacht

■ betr.: "Mit allen Mitteln für Groß-Äthiopien", taz vom 4.2.93

betr.: „Mit allen Mitteln für Groß-Äthiopien“, taz vom 4.2.93

[...] Der Beitrag von Herrn Meuer war gekennzeichnet durch eine Mischung von fehlerhafter politischer Diagnose und bewußter oder unbewußter Desinformation.

Erstens: Weder die Amharen noch die „groß-äthiopischen Chauvinisten“ sorgen heute für den ethnischen Zündstoff in Äthiopien. Wer so was behauptet, lenkt nur von den aktuellen Problemen des Landes ab.

Die Politik der EPRDF (die jetzigen Machthaber in Äthiopien) liefert den Zündstoff für ethnische Konflikte. Die einzige Legitimation der EPRDF, ihre Nationalitätenpolitik nämlich, ist schon längst gescheitert. Anstatt des mehrmals versprochenen Ausgleichs zwischen den Nationalitäten wächst in Äthiopien heute die Herrschaft einer einzigen Volksgruppe, die der Tigres.

Es ist bemerkenswert, daß zum ersten Mal in der jüngsten äthiopischen Geschichte an der Spitze des Staates, der Kirche und der Armee nur Angehörige einer einzigen Volksgruppe stehen. Äthiopien wird heute von einer politischen und ethnischen Minderheit regiert. Ethnische Säuberungen im Regierungsapparat, in den regionalen Verwaltungen und anderen Staatsinstitutionen sind in vollem Gange. Unabhängige ethnische Organisationen der Oromo, der Amhara und der Südvölker werden in ihrer Arbeit behindert, deren Mitglieder verhaftet oder erschossen. Diese Politik der EPRDF liefert den Zündstoff für ethnische Konflikte in Äthiopien und nicht der „groß- äthiopische Chauvinismus“, wie Herr Meuer in seinem Artikel behauptet.

Zweitens: Viele Äthiopier hätten zweifellos lieber gesehen, daß Eritrea als Teil Äthiopiens weiterbestehen würde. Uns ist aber keine politische Kraft in Äthiopien bekannt, die Eritrea „heim ins Reich“ führen will und dafür auch ein Blutvergießen in Kauf nimmt. Dafür sind die Folgen des langjährigen Krieges in Eritrea und die heutige militärische Realität allen politischen Kräften noch frisch im Gedächtnis.

Was viele Äthiopier im Falle Eritrea stört, ist nicht das Referendum oder die eventuelle Unabhängigkeit. Der Grund für den großen Unmut in der Bevölkerung Äthiopiens ist die Art und Weise, wie die Frage Eritreas in den letzten zwei Jahren behandelt wurde.

Bei den Verhandlungen in London wurde versprochen, daß die EPLF sich an einer Übergangsregierung beteiligen würde. Statt dessen dirigiert der EPLF-Führer Issayas Afeworki von der Beobachterbühne des Africa Halls in Addis Abeba die Juli-Konferenz in Addis.

Kurz nach dem Einmarsch der EPRDF in Addis Abeba versprach Meles Zenawi persönlich, daß das Referendum demokratisch vonstatten gehen würde und Eritreer die Wahl zwischen Konföderation, Föderation und Unabhängigkeit hätten. Es stellte sich aber schnell heraus, daß diese Äußerung von Meles Zenawi nur einen taktischen Zug darstellte, um von der äthiopischen Bevölkerung Unterstützung zu erhalten.

Als kurz danach Issayas Afeworki im Alleingang entschied, den Eritreern nur die Option der Unabhängigkeit zu lassen, gab es keinen Kommentar aus Addis. Daraufhin schrieb Meles Zenawi einen geheimen Brief an UNO- Generalsekretär Butros Ghali, in dem Äthiopien auf jegliches Mitspracherecht über das Referendum verzichtete, und die UNO empfahl, mit der provisorischen Regierung in Eritrea zusammenzuarbeiten.

Das kommende Referendum stellt keinen freien Volksentscheid dar. In Eritrea herrscht nur eine politische Organisation, und andere politische Parteien sind nicht zugelassen. Deshalb sind auch nicht nur äthiopische politische Organisationen, sondern auch eritreische Organisationen wie die ELF oder Volksgruppen wie die Afars Gegner eines solchen Referendums in Eritrea.

Drittens: Erstaunlich ist die Übereinstimmung zwischen der Interpretation der Studentendemonstration und darauffolgenden Ereignissen durch Herrn Meuer und der von den durch die EPRDF kontrollierten Medien. Obwohl alle internationalen Medien einhellig von Tausenden Demonstranten sprachen, versuchte Herr Meuer, genau wie die EPRDF, das Ausmaß der Ereignisse herunterzuspielen, indem er nur von „einigen hundert“ Demonstranten schrieb. Sowohl die EPRDF als auch Herr Meuer sahen die „Amharen-Clique“ als treibende Kraft hinter den Ereignissen vom 4.Januar.

Tatsache ist aber, daß die große Mehrheit der Studentenschaft, die hinter der Aktion vom 4.Januar stand, keineswegs nur aus Amharen bestand. Es bedarf keiner besonderen Kenntnisse der Verhältnisse von Äthiopien, um festzustellen, daß die Addis-Abeba-Universität eine multi-ethnische Institution ist. Wie kann dann Herr Meuer von „studentisch-amharischen“ Störensfrieden reden, wenn wegen der Demonstration der Universitätspräsident und sein Stellvertreter entlassen werden, wenn der Lehrerverband einstimmig das Studentenmassaker verurteilt und schließlich, wenn 12.000 Studenten den Lehrbetrieb der Universität boykottieren? [...] Der Vorstand des Movement

of Ethiopians for Peace,

Democracy&Unity, Köln

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen