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Verdrängte Verdrängungen

■ Der ungarische Schriftsteller Istvan Eörsi, Opfer der Niederschlagung des Aufstands 1956, zum Umgang mit der stalinistischen Vergangenheit in Ungarn

taz: Herr Eörsi, wie geht man in Ungarn mit der Last des stalinistischen Erbes um?

Istvan Eörsi: Für Ungarn ist etwas typisch, was ich gerne als „Die Verdrängung und ihre Verdrängung“ beschreibe. Damit meine ich die Art, wie die ungarischen Intellektuellen in der späten Kadar- Zeit die Revolution von 1956 verdrängten und wie sie heute verdrängen, daß sie in der Kadar-Zeit die Revolution verdrängten.

In Ungarn gibt es keine Stasi- Akten-Debatte. Die belastenden Akten ruhen tief in den Verliesen des Innenministeriums. Ein Gesetz, wie damit umzugehen sei, liegt in weiter Ferne. Sollte man einen Schlußstrich ziehen, die Akten ruhen lassen, die Sache einfach vergessen?

Nein, ich bin ganz entschieden gegen ein Vergessen. Es gibt allerdings verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit dem belastenden Material. Es gibt einerseits das Offenlegen zum Zwecke der Aufklärung, um eine moralische Wertordnung zu schaffen. Und andererseits gibt es die gerichtliche Zur-Verantwortung-Ziehung möglicher Übeltäter. In letzteres habe ich überhaupt kein Vertrauen. Die Massaker und Repression im Zusammenhang mit 1956 – das ist verjährt und nach mehr als 30 Jahren nur sehr schwer rekonstruierbar. Die Soldaten, die bei diesen Massakern geschossen haben, werden sagen, sie handelten auf Befehl.

Sollten die Opfer von Bespitzelungen – wie in Deutschland – gundsätzlich die Möglichkeit erhalten, Einsicht in ihre Akte zu nehmen und ihre früheren Spitzel zu enttarnen?

Das ist ein ganz schwieriges Problem. Vieles spricht dagegen: Die ganze Gesellschaft würde wieder von Animositäten und Verdächtigungen durchdrungen sein. Andererseits glaube ich doch, ein Recht darauf zu haben, zu wissen, wer von meinen Freunden mich verraten hat. Denn es könnten Zeiten kommen, wo er mich wieder verraten wird.

Nun hat aber die konservative Regierung Gesetze beschlossen, die in eine ganz andere Richtung weisen (und möglicherweise nicht verfassungsgemäß sind): strafrechtliche Verfolgung einiger weniger Übeltäter anstatt Transparenz der Akten. Eines dieser neuen Gesetze statuiert, daß 1956 Krieg war, daß so die damit verbundenen Verbrechen Kriegsverbrechen sind, die nach dem Völkerrecht nicht verjähren...

Bitte, was für ein Krieg war denn 1956? In Wahrheit war das eine Revolution, die mit Hilfe sowjetischer Soldaten niedergeschlagen wurde. Eine kriegsähnliche Situation bestand zwschen dem 23. Oktober und dem 9. November 1956 – Imre Nagy und die meisten anderen Revolutionäre wurden aber erst 1958 hingerichtet. Das Kadar-Regime wurde im übrigen ziemlich schnell international anerkannt. Und was machen wir dann mit der Creme des ungarischen Geisteslebens, die 1957 fast vollständig eine Petition unterschrieb, die Ungarn-Frage von der Tagesordnung der UNO-Vollversammlung abzusetzen? Die wären dann alle, wenn nicht Kriegsverbrecher, so doch Komplizen. Eine Absurdität! Ich bin für aufklären und offenlegen, nicht für bestrafen.

Wie erklären sie sich, daß etliche Alt-56er der extremen Rechten zugedriftet sind? Gergely Pongratz, der sich in den Budapester Straßenkämpfen hervortat, und Jenö Fonay, der wegen seiner Teilnahme an der Revolution schon unter dem Galgen gestanden hatte, unterstützen heute in aller Öffentlichkeit den Rechtspopulisten und Antisemiten Istvan Csurka. Überhaupt scheint die Diskussion um 1956 von der Rechten besetzt worden zu sein.

Das ist auch für mich ein Rätsel. Es gibt aber auch Gründe. In Ungarn konnten einige bekannte 56er, zu denen auch ich zähle, in der Kadar-Zeit zumindest leben. Meine Bücher wurden hin und wieder verboten, meine Stücke durften nicht gespielt werden, aber ich konnte mich durchschlagen. Kadar lebte von seinem liberalen Image im Ausland (für das er auch Geld bekam) und konnte mich deshalb nicht einfach einsperren lassen. Für die einfachen Leute und Arbeiter, die wegen 1956 im Gefängnis gesessen hatten, gab es aber das ganze Leben lang keine Erleichterung. 30 Jahre lang lebten sie in Armut und unter Demütigungen. Jahre nach ihrer Entlassung aus der Haft wurden sie immer noch von Polizei und Behörden schikaniert, am Arbeitsplatz diskriminiert. Diese Leute haben 1989 in den Systemwandel große Hoffnungen gesetzt. Für sie hat sich aber seither sehr wenig verändert. Weder materiell noch moralisch gab es eine wirkliche Wiedergutmachung für diese Opfer. Csurkas These, daß es gar keinen Systemwandel gab, verfing bei diesen enttäuschten Menschen. Für mich ist das eine sehr traurige Erscheinung. Das Gespräch

führte Gregor Mayer

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