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Die Rote Armee zur Rechenschaft ziehen

■ Polens Parteien stehen einig gegen die Verjährung stalinistischer Verbrechen

„Hohes Gericht, ich beantrage, diese Kanaille, diesen englischen Spion abzuknallen“, beendete Stanislaw Zarakowski sein Plädoyer gegen einige führende Generäle der polnischen Heimatarmee. Dem Antrag wurde stattgegeben. Die Generäle hatten den Fehler begangen, während des Zweiten Weltkriegs der von Stalin verachteten polnischen Exilregierung in London treu zu bleiben und Antikommunisten zu sein. Wie Tausende Anhänger des „bourgeoisen Polens“ wurden sie beseitigt; den Anschein von Justiz verlieh ihnen Zarakowski, nach dem Krieg Oberster Militärstaatsanwalt.

Seit einigen Wochen hat der inzwischen 84jährige Greis selbst Probleme mit dem Staatsanwalt – der wirft ihm nun vor, seine Forderungen nach Todesstrafe auf unter Folter erzwungene Geständnisse und unzureichende Beweise gestützt zu haben. „Wenn uns der Nachweis für das gelingt, was wir Zarakowski vorwerfen“, meint der federführende Ankläger, „ist für ihn sogar die Todesstrafe drin.“

Im Warschauer Parlament berät man derweil ein Gesetz, das die Verjährung für stalinistische Verbrechen aufheben soll. Der vom Senat Mitte letzten Jahres eingebrachte Entwurf sieht vor, daß ab sofort auch für all jene Verbrechen Anklage erhoben werden kann, die nach dem Krieg aus politischen Gründen nicht verfolgt wurden – unabhängig davon, ob sie verjährt sind, die Verfahren eingestellt oder die Täter amnestiert wurden. Geht es nach den Senatoren, soll die Verjährung erst ab Inkrafttreten des Gesetzes zu zählen beginnen. Und für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord soll es überhaupt keine Verjährung mehr geben. Vorbild ist dabei Deutschland, das für nationalsozialistische Verbrechen ebenfalls die Verjährung abgeschafft hat. Das Gesetz hat gute Aussichten, den Sejm zu passieren – von den Exkommunisten bis zu den radikalsten Antikommunisten ist es nahezu unumstritten.

Anders als die nach wie vor heftig geführte Debatte über die achtziger Jahre ist das Urteil der etablierten Parteien über die Stalinzeit einhellig negativ, obwohl die stalinistischen Säuberungen der fünfziger Jahre in Polen weniger blutig waren als in der ČSSR und Ungarn. Bei der nun in Gang gekommenen Debatte geht es allerdings weniger um die innerparteilichen Säuberungen als um jenen Bürgerkrieg, den sich Ende der vierziger Jahre polnische antikommunistische Partisanen und die von Stalins Roter Armee unterstützten Kommunisten lieferten. Darüber hinaus zielt das Anti-Verjährungsgesetz auch auf das Massaker von Katyn, bei dem polnische Offiziere, die 1939 in die Gefangenschaft der Roten Armee geraten waren, erschossen wurden. Die militärischen Befehlshaber sind inzwischen identifiziert und lokalisiert. Polen bemüht sich nun darum, gegen sie Strafverfahren in Rußland in Gang zu bringen. Klaus Bachmann

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