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„Ich habe da gewisse Vorurteile“

■ Prozeß gegen zwei Arbeiter nach Anschlägen auf jüdisches Mahnmahl in Tiergarten und Weddinger Asylbewerberheim

Moabit. Vor der 22. Strafkammer des Landgerichts begann gestern der Prozeß gegen einen 31jährigen Transportarbeiter und einen 35jährigen Arbeitslosen, die Ende August 1992 ein Sprengstoffattentat auf das jüdische Mahnmal an der Tiergartener Putlitzbrücke verübt hatten. Die geständigen Angeklagten haben zudem einen Bombenanschlag auf das Weddinger Asylbewerberwohnheim in der Hussitenstraße zu verantworten.

Obwohl sie direkte Kontakte zu rechtsradikalen Organisationen abstritten, fühlten sich die Angeklagten offensichtlich durch die Progrome in Rostock zu ihren Taten animiert. Menschen kamen bei den Anschlägen nicht zu Schaden. Der 31jährige Hauptangeklagte, Detlef M., der der Bombenbastler des Duos war, sagte vor Gericht, er habe „viel Negatives über Asylanten gehört und sei auf die dumme Idee gekommen, ein Zeichen zu setzen“. Einen „moralischen Schlag“ habe er „den Asylanten“ mit dem Anschlag versetzen wollen, um sie „abzuschrecken“. Eine Zeitung der Deutschen Volksunion (DVU), die ihm zufällig in die Hände gefallen sei, habe ihn in seinem Vorhaben bestärkt. „Ich muß mich da in eine Sache hineingesteigert haben“, bemühte sich der 31jährige Transportarbeiter um Reue. Als er von der mehrmaligen Schändung des jüdischen Mahnmals mit Schweinsköpfen hörte, sei der Gedanke entstanden, dort einen zweiten Anschlag zu verüben.

Die Erklärungen des 31jährigen zu seinen Motiven blieben unverständlich. Er nannte sich einen „Waffenfanatiker“, der es gern „knallen höre“, und die Schlagzeilen in der Presse hätten ihn fasziniert. „Fehlenden Stolz“ hätten seiner Ansicht nach Juden, die immer noch in Deutschland lebten, „obwohl sie doch im Dritten Reich vergast worden sind“, versuchte er zu erklären. Warum er dann ausgerechnet ein jüdisches Mahnmal sprengen wollte – auf diese Frage von Richter Föhrig schüttelte er hilflos den Kopf. „Ich habe da gewisse Vorurteile“, räumte Detlef M. ein.

Zur Überraschung des Gerichts und entgegen seiner Aussagen bei der Polizei wollte der zweite Angeklagte, der 35jährige Lutz M., von nichts mehr gewußt haben. Weder habe er beim Bau der Bomben geholfen, noch habe er Detlef M. in seinem Denken unterstützt. Einen Spaziergang habe man an besagten Abend im August gemacht, als dieser plötzlich die Bombe aus einer Plastiktüte gezogen habe. Der 35jährige, der eine Statue vom „Kopf des Führers“ in seiner Wohnung aufbewahrt, gestand seine Mittäterschaft erst nach einer Prozeßunterbrechung und einem „längeren Gespräch mit seinem Verteidiger“, das Richter Föhrig dem Angeklagten dringend empfohlen hatte.

Zur Festnahme der Attentäter hatte im September 1992 die Anzeige einer Arbeitskollegin von Detlef M. geführt. Sie wußte von den Absichten des Angeklagten, der nach ihren Aussagen „volles Vertrauen“ zu ihr hatte. Im Betrieb soll Detlef M. öfter über die „Scheißkanacken“ und „Neger“ geschimpft haben.

Der psychiatrische Gutachter hielt das allerdings mehr für das Geltungsbedürfnis des „vereinsamten“ Detlef M., der weit mehr an technischen Waffendetails interessiert sei als an einem ideologischen Überbau: „Im wesentlichen ist es ihm egal, was er sprengt.“ Ralf Knüfer

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