piwik no script img

"Motzki ist St. Pauli-Fan"

■ FC St. Pauli: Eine unvergessliche Reise der St. Pauli-Fans in den Osten und die Sicherheitsphilosophie der dortigen Ordnungshüter

Eine unvergessliche Reise der St. Pauli-Fans in den Osten und die Sicherheitsphilosophie der dortigen Ordnungshüter

Als Sven Brux am Sonnabend morgen in den Bus nach Rostock stieg, hatte er ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend. Zum ersten Mal in dieser Saison fuhr der Fanbeauftragte des FC St. Pauli samt Klientel zu einem Auswärtsspiel seiner Lieblinge nach Ostdeutschland. Bisher boykottierten die als links eingestuften Anhänger- Innen des Hamburger Stadtteilvereins Spiele in den Neuen Bundesländern. Sie hatten aufgrund mangelnder Sicherheitsmaßnahmen und des latenten Rechtsradikalismis in

1den ostdeutschen Stadien Angst um ihre körperliche Unversehrtheit. Lippenbekenntnisse von Seiten der Polizei für den reibungslosen Ablauf des Spiels im Rostocker Ostseestadion zu sorgen und die stattliche Anzahl von etwa 1000 St. Pauli-Fans, die ihr Team begleiten wollten, sorgten dann doch für die Ostpremiere.

Friedlich wie eine Norderstedter Kleinfamilie auf Verwandtenbesuch kamen die Busse in der Hansesadt an. Neue Stücke aus dem reichhaltigen Millerntor-Folklorereportoire

1wurden abgespielt. „Ihr seid Ossis, wir mal nicht“, schallte es neben „Motzki“-Rufen bereits vor Spielbeginn durch die Arena. „Asylanten“ wurde zurückgegröhlt. Es sah fast so aus, als ob sich der Schlagabtausch auf verbaler Ebene bewegen sollte. Die 211 eingesetzten Ordungshüter konnten sich in Ruhe das Spiel ansehen und schienen auf mehr auch nicht eingerichtet gewesen zu sein. Vor allem nicht darauf, daß sich Provokateure rechtsgerichteter Hooligans direkt neben dem St. Pauli-Fanblock auf der Tribüne einfanden und nazistische Parolen schrien. Unbemerkt von der Polizei rotteten sich dann auf dem Parkplatz vor dem Stadion etwa 350 Hooligans zusammen, um den St. Pauli-Fanblock mit Steinen und ähnlichem zu bewerfen. Eine Situation, die im letzten Moment gerade noch durch Wasserwerfereinsatz bereinigt werden konnte. Die Sorglosigkeit mit der die Uniformierten zur Sache gingen und vor allem die geringe Polizeipräsenz vor dem Stadion war schon verwunderlich. Bereits vor dem Spiel wurde in der Rostocker Innenstadt von Hooligans eine Straßenbahn entglast. „Daß so viele St. Pauli- Fans kommen würden damit haben wir gerechnet, aber nicht mit so vielen anderen“, räumte ein Spre-

1cher der Rostocker Polizei Versäumnisse ein.

Voller Pannen verlief auch der Abzug nach dem Spiel. Statt, wie polizeilich zugesichert, bei einem

1angrenzenden Schwimmbad in die Busse steigen zu können, mußten die KiezclubanhängerInnen, unterbrochen durch Steinewürfe von Hooligans, etwa einen Kilometer marschieren, ehe sie unversehrt ihren Bus erreichten. Weniger Glück hatten St. Pauli-Fans die mit der Bahn nach Hause fahren wollten. Am Bahnhof wurden sechs von ihnen aufgelauert und einer zusammengeschlagen.

Das anschließende Oldie-Konzert der Hamburger Punk-Band Slime in einem Rostocker Jugendzentrum lief ohne Störungen ab. Einzig den Besuch einer Kneipe in der zuvor St. Pauli-Fans von Rechtsradikalen angepöbelt wurden, verhinderte ein größeres Polizeiaufgebot. Für Brux hat sich sein ungutes Gefühl bestätigt. „Die Ereignisse am Sonnabend werden unsere Diskussionen, ob man ein Spiel im Osten besucht, nachhaltig beeinflussen“, äußerte er sich gestern. Kai Rehländer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen