: Göttlicher Akt — wunderbarer Mandarin
Maurice Béjart: Einstand an der Staatsoper mit bizarr verklärten Nächten ■ Von Michaela Schlagenwerth
Ballettpremiere an der Staatsoper Berlin: Altmeister Maurice Béjart hat sich als fester Gastchoreograph an das Haus Unter den Linden verpflichten lassen und eröffnet nun seine Arbeit mit einer Uraufführung und zwei Neueinstudierungen. Auf „Nacht“, entstanden aus Texten Ludwig Wittgensteins zum Verhältnis von Musik und Tanz sowie Versen aus Novalis' „Hymnen an die Nacht“, folgen zwei Ballett-Klassiker dieses Jahrhunderts: „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg und „Der wunderbare Mandarin“ von Béla Bartok, die Maurice Béjart zuvor schon mit seiner Compagnie „Rudra Béjart“ erarbeitet hatte.
Sandy Bergmann und Michael Rissmann sind als Maria und Joseph – nicht in tänzerischer, aber in dramatischer Hinsicht – die Hauptakteure von „Nacht – Verklärte Nacht“. Derweil ein Wanderer im Trenchcoat (Michael Denard) Wittgenstein und Novalis zitiert, sieht Maria fern: Die Welt der Tatsachen gibt es für sie nur aus zweiter Hand.
Zur unbefleckten Empfängnis muß die Jungfrau überredet werden – den leiblichen Weg würde sie vorziehen. „Der Wanderer und sein Bote Gabriel haben mir diesen Diamanten aufgezwungen, der in meinem Leib brennt und meine Nacht mit ungestillten Begierden erfüllt!“ schreibt Béjart im Programmheft und läßt im Theater eine Spiegelkugel aus dem Schnürboden herab, von wo zuvor bereits der Erzengel Gabriel an einem Trapez abgeseilt wurde. Gemeinsam mit einem etwas unglücklichen Joseph im Blaumann und dem Mann im Trenchcoat verfolgt der himmlische Gesandte Marias Befruchtung durch den Heiligen Geist.
Ein auf den göttlichen Akt folgendes, langgedehntes Pas de Deux zweier Liebespaare (Raimondo Rebeck, Steffi Scherzer, Ralf Stengel, Bettina Thiel) entbehrt schließlich jeglicher dramatischer Spannung, und die Kunst dreht sich im Leerlauf. Dem Opfer, das sie bringt, steht Maria bis zum Schluß mit Hilflosigkeit und Entsetzen gegenüber. Dennoch gibt sie die Heilige Jungfrau pflichtgemäß so, wie sie sein soll: zart, zerbrechlich und madonnenhaft. Widerstand ist ausgeschlossen. So wird ihr Opfer ausgiebig bedauert, aber nicht in Frage gestellt: Gefeiert wird ihr sittsamer Gehorsam, für den sie zum guten Schluß mit einer echten Krippe mit echtem Stroh belohnt wird. Béjart will die Ironisierung des Pathetischen nicht recht gelingen.
Ganz anders dagegen der zweite Teil des Abends: Béla Bartoks „Wunderbarer Mandarin“ gerät Béjart zu einem großartigen Stück über die Liebe und die Kraft von Idealen. Inspiriert von Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ hat Béjart die Geschichte von den drei Zuhältern, die ein junges Mädchen als Lockvogel benutzen, um die Freier auszurauben, in die Gangsterwelt der zwanziger Jahre verlegt. Graue Backsteinmauern, aus denen gigantische Kanalisationsrohre ragen, bilden den Rahmen, in dem sich das Drama um Liebe und Begierde entspinnt. Das junge Mädchen ist zum abgetakelten Transvestiten (Mario Perricone) mutiert, im schwarzen, paillettenbesetzten Body, mit Federn um Arme und Hüften und grell überschminktem Gesicht – eine Puppe von hölzerner Zärtlichkeit. Ein Siegfried im Lendenschurz (Ralf Stengel) und ein junges Bürschchen in Knickerbockern (Jana Timptner) sind die ersten Opfer, mit denen sich der Transvestit kurz vergnügt, um sie dann bereitwillig seinem Zuhälter (Andreas Kelle) und dessen Bande für Raub und Mord zu überlassen.
Erotische Vogeltänze führt Mario Perricone vor, mit denen er seine Opfer mehr herbeischwört als nur -lockt. Die Zuhälterfigur spielt der ungleich zartere Raimondo Rebeck im Mao-Einheitslook: ein unverwundbarer und deshalb wunderbarer Mandarin. Das bizarre Tableau schließt sich mit einem Ritual der Unterwerfung. Michaela Schlagenwerth
Choreographie/Inszenierung/Ausstattung: Maurice Béjart, musikalische Leitung: Daniel Barenboim, Mitarbeit Kostüme: Friederike Singer, Mitarbeit Bühnenbild: Gerd Neubert (nach einer Idee von Maurice Béjart), Choreinstudierung: Ernst Stoy. Weitere Aufführungen bis Spielzeitende: 14. und 28. März, 4., 10. und 15. April.
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