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Nebensachen aus KairoEin ganzes Land im Serienfieber

■ „Die Kühnen und die Schönen“ sorgen für leergefegte Straßen in der ägyptischen Metropole

Kairo (taz) – Iskutu, „Seid ruhig!“, schrie mein Onkel Kamal verzweifelt in die Menge. Seine Schwestern, Neffen und Nichten waren von Alexandria nach Kairo heruntergekommen. Sein Bruder und seine Frau haben sogar den weiten Weg von Deutschland auf sich genommen. Ein Familientreffen im großen Stil also. Doch mein Onkel wollte sich nicht etwa Ruhe verschaffen, um als ältestes Familienoberhaupt eine wichtige Entscheidung für die Zukunft der Familie anzukündigen. Der Grund für den Ruf nach silencio war ein ganz anderer: der Vorspann zur US-amerikanischen Serie „The Bold and the Beautiful“, zu deutsch: „Die Kühnen und die Schönen“, lief in der Glotze an. Und die wollte Onkel Kamal in keinem Fall missen, auch wenn die Familie aus aller Welt angereist war.

Ein Einzelfall audiovisueller Seriensucht in Ägypten? Keineswegs. Die Serie von den schönen Kühnen hat das Land am Nil ähnlich einer Epidemie heimgesucht. Seither ist der Sendetermin die günstigste Zeit, wenn man sich schnell von einem Ende der Stadt zum anderen bewegen will: die sonst so verstopften Straßen sind wie leergefegt. Egal ob im Café, beim Friseur, im Taxi, im Geschäft, am Arbeitsplatz oder gar im Fernsehgebäude selbst: nicht die zunehmende Konfrontation zwischen der Regierung und der islamistischen Opposition sorgt für Gesprächsstoff; nein, ganz andere Probleme brennen den Menschen allenthalben unter den Nägeln: Was passiert mit den Serienheldinnen Stefanie und Caroline?, lautet die allerorten mit Besorgnis gestellte Frage.

Tatsache ist, daß inzwischen vier Läden und Boutiquen in der Kairoer Innenstadt den Namen der Serie tragen. Auch ein gleichnamiges Radioprogramm läuft zur besten Sendezeit über den Äther. Wie soll es auch anders sein: es beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen Mann und Frau, mit Ehe- und Familienproblemen. Eine Art Frage-und- Antwort-Stunde für verzweifelte Ehepaare.

Wie kommt's, daß ausgerechnet eine ausländische Serie derartig bahnbrechende Erfolge feiert? Die ägyptische Filmindustrie gehört zu den größten der Welt und an ägyptischen Seifenopern mangelt es keineswegs. An der Dramatik und dem schauspielerischen Talent der SerienheldInnen kann das Serienfieber in keinem Fall liegen. Das wird selbst einem weniger gut informierten Zuschauer nach einer nur zehnminütigen teilnehmenden Beobachtung schnell klar. Die Antwort der Suchtgeschädigten lautet meist: Die Leute in der Serie sind so angenehm, schön, sauber und proper. „Das könnt ihr nicht ernst meinen“, schrieb ein ägyptischer Journalist in einem Kommentar zur Serie. „Die Leute sehen eine tausend Episoden umfassende Serie, weil sie die feine Qualität der Seife auf der Haut der Schauspieler nahezu riechen können?“

Fast wäre in den letzten Wochen im Land eine Revolution ausgebrochen. Nicht etwa unter Führung der Islamisten, die die angebliche Unmoral selbst einer Reihe ägyptischer Serien beklagen. Für die Zeit des muslimischen Fastenmonats Ramadan sollte die Fernsehfolge nämlich ursprünglich abgesetzt werden. Das war zuviel der Enthaltsamkeit für die im Serienfieber Siechenden. Nach den ersten Anzeichen eines sich ankündigenden Aufstandes gab die Programmleitung nach. Onkel Kamal und der Rest der Familie atmeten auf. Jetzt flimmern die Schönen jeden Samstag nachts um ein Uhr über den Bildschirm. Gerade noch rechtzeitig, um anschließend das suhur, ein schnelles Frühstück und das letzte Mahl in der Nacht, zu sich zu nehmen, bevor die fanus, die Ramadan-Laternen, gelöscht werden. Dann begeben sich alle zu Bett, in Erwartung des Sonnenaufgangs und eines neuen Fastentages.

Aber auch diese Zeit der Enthaltsamkeit wird vorbeigehen. Nach dem Ramadan wird man wieder an sieben Tagen in der Woche erfahren können, wie es mit Caroline und Stefanie bestellt ist. Al-Hamdulillah – Gott sei Dank – Onkel Kamal blickt den kommenden zweieinhalb Jahren mit ihren 850 neuen Folgen mit Zuversicht entgegen. Aus Kairo: Karim El-Gawhary

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