: Rinderseuche breitet sich aus
Zum ersten Mal ist ein englischer Bauer, der Kontakt mit infizierten Rindern hatte, an einer verwandten Hirnkrankheit gestorben ■ Aus London Ralf Sotscheck
Die Befürchtung, daß die Rinderseuche „Bovine Spongiforme Enzephalopathie“ (BSE) auch auf Menschen übertragen werden kann, hat neue Nahrung erhalten. Zum ersten Mal ist jetzt in Großbritannien ein Bauer, der nachweislich Kontakt mit einer BSE-infizierten Kuh hatte, an der verwandten Creutzfeldt-Jakob- Krankheit gestorben. Der 61jährige Peter Warhurst aus Simister bei Manchester klagte zunächst über Gedächtnisverlust sowie über Sprach- und Gleichgewichtsstörungen. Drei Monate später war er tot. Mindestens eine seiner Kühe war 1989 an BSE gestorben.
Robert Will, der Chef des 1990 in Edinburgh eingerichteten staatlichen Creutzfeldt-Jakob-Untersuchungsteams, sagte: „Das ist der erste Bericht über einen Creutzfeldt-Jakob-Fall bei einem Menschen, der in direktem beruflichen Kontakt mit einem BSE-Fall stand. Das deutet auf die Möglichkeit einer kausalen Verbindung hin.“ Allerdings schränkte Will ein, daß man keinen endgültigen Schluß daraus ziehen könne. Eine Übertragung durch die Milch der infizierten Kuh scheide aus.
Ein weiterer Bauer, der 55jährige Jim Etchells aus Macclesfield in Cheshire, liegt seit 19 Wochen mit einer bisher nicht diagnostizierten Gehirnkrankheit im Krankenhaus. Bei seiner Einlieferung sagte er: „Ich habe die Rinderseuche – ich kenne die Symptome.“ Die britische Regierung weist eine Verbindung zwischen beiden Krankheiten jedoch zurück. Ihr medizinischer Experte Kenneth Calman sagte: „Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis. Jeder kann nach wie vor gefahrlos Rindfleisch essen.“ Die Neuropathologin Helen Grant bezeichnete Calmans Versicherungen jedoch als „unwahr und wertlos“. Sie sagte: „Wenn keine Gefahr besteht, soll er doch mal erklären, warum die Regierung sechs Millionen Pfund ausgibt, um die Beziehung zwischen BSE und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu erforschen.“
Hinzu kommt, daß die Regierung in der Vergangenheit mit ihren Prognosen regelmäßig falsch lag. Vor anderthalb Jahren hatte der Chefveterinär Keith Meldrum behauptet, daß die BSE-Fälle „innerhalb eines Jahres drastisch zurückgehen“ würden. In Wahrheit breitet sich BSE immer weiter aus. Jede Woche sterben in Großbritannien 885 Tiere daran – über 200 mehr als vor einem Jahr. Seit dem Ausbruch der Seuche, die im Volksmund „Verrückte-Kuh- Krankheit“ heißt, sind bereits 100.000 Kühe daran eingegangen. Vor allem in Schottland ist die Zahl im letzten halben Jahr um knapp 40 Prozent gestiegen, während landesweit ein Anstieg um 23 Prozent zu verzeichnen war.
Die Krankheit ist durch verseuchte Futtermittel ausgelöst worden. Dem Trockenfutter werden proteinhaltige Schafinnereien beigemischt. Bei Schafen tritt aber bereits seit 250 Jahren die BSE- ähnliche Traberkrankheit oder Scrapie auf. 1981 vereinfachten die englischen Futtermittelhersteller aus finanziellen Gründen das Produktionsverfahren. Dadurch wurde der Erreger nicht mehr abgetötet und befiel die Rinder. Zwar kehrte man 1988 zum alten Herstellungsverfahren zurück, doch sind seitdem zahlreiche Kälber an BSE gestorben. Das deutet darauf hin, daß die Seuche auch von der Kuh auf das Kalb übertragen wird.
Dennoch gelangen die Gehirne britischer Kälber unter sechs Monaten auch in Deutschland weiterhin in die Nahrungskette. Chris Bostock vom staatlichen Tiergesundheitsinstitut in Edinburgh behauptete: „Da Menschen seit Hunderten von Jahren Lamm- und Hammelfleisch essen, gibt es solide Beweise, daß Scrapie nicht auf Menschen übertragen werden kann. Es ist anzunehmen, daß dasselbe für BSE gilt.“ Helen Grant sagte jedoch zur taz: „Diese Annahme läßt außer acht, daß Schafshirne in britischen Schlachthäusern im allgemeinen nicht entfernt werden, sondern in den Abfall kommen. Kuh- und Kalbshirne wurden jedoch stets bei der Herstellung von Wurst, Pasteten und Hamburgern verwendet.“
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