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■ Die deutsche Infoelite entdeckt die SitcomIm Jahre 1 nach Bundy

Berlin (taz) – „Hipness macht längst keinen Spaß mehr, ist Pflicht, verbreitet nur noch Angst und Tristesse“, schrieb Maxim Biller im Februar 1986 in seiner ersten Tempo-Kolumne. Diese Einsicht mißachtend, übte sich die Redaktion des Blattes jahrelang darin, mit dem Zeitgeist Schritt zu halten, kam darüber ganz schön außer Atem und gab letztlich auf. Oder wie ist es zu erklären, daß Tempo in aller Gelassenheit erst im März 93 mit einer Titelgeschichte zum Bundy-Phänomen herausrückte, als der schrecklich netten Familie bereits von jeder Biligpostille der verdiente Kultstatus zuerkannt war? Vorteil der späten Zündung: Im Archiv findet sich bereits ein ganzes Bündel mit Veröffentlichungen zum Thema, das erleichtert die Arbeit ungemein.

Auch der Spiegel war schon weit jenseits der Aktualitätsgrenze, als er in der Ausgabe 3/93 entgeistert die „Pop-Ikone“ Al Bundy zur Kenntnis nahm und ein Zitat aus der New York Times in die Titelzeile rückte: „Meilensteine des Vulgären“. Der Satz gefiel auch der Tempo-Autorin, die ihn, behutsam modifiziert, als „Meilensteine der Vulgarität“ unterbrachte. Die Woche (4.3. 93) verzichtete dann schon auf jegliche Quellenangabe, erbrachte aber immerhin kreative Eigenleistung mit der hochgestapelten Variante „Mikrokosmos des Vulgären“.

In manchem wissen sich die Kenner einig: „Married... With Children“ sei eher „Reality-TV denn Komödie“, diagnostizierte Der Spiegel – „realistischer als jedes Reality-TV“ echote Die Woche. Die von RTL angerichtete Verdeutschung der Erfolgsserie findet Tempo „so lustig, als ob man die Marx-Brothers mit den Wildecker Herzbuben nachstellen wollte“. Die Woche bläst ohne viel Edelfederlesen ins gleiche Horn, da wirkt „die Kopie (...) ungefähr so, als würde man ,Malcolm X‘ mit Heino in der Hauptrolle ins Deutsche übertragen...“ Na ja, ungefähr. So circa quasi irgendwie. Entfernt jedenfalls. Hm.

Alle AutorInnen unterschlagen den Hinweis, wann denn der Siegeszug der Vorstadtdesperados überhaupt einsetzte – nicht von ungefähr, denn die Preisgabe dieser Information würde dem forsch vorgetragenen Bescheidwisserhabitus schwer zusetzen: Am 19. Februar 1992 hatte „Eine schrecklich nette Familie“ auf RTL Premiere. Es dauerte keine zwölf Monate, da erfuhr auch Tempo davon...

Einträchtig wüten die Skribenten gegen „die künstlichen Dauerlacher vom Band“ (Spiegel), respektive die schamlose „Gag-Unterstützung durch die Lachmaschine“ (Die Woche). Jedoch sitzt der Feind im Inland – die Lacher stammen aus den Konserven des Synchronstudios. Die Originalepisoden dagegen werden mit Publikum aufgezeichet und aus zwei Durchläufen zusammengeschnitten. Daß die echte Geräuschkulisse gelöscht wird, hat kuriose Folgen: Befremdende Dialogpausen erwecken den Eindruck, daß die Schauspieler ihren Text vergessen hätten. Tatsächlich warten die Akteure aber, bis sich das – mitunter lebhaft Anteil nehmende, hierzulande aber unhörbare – Auditorium wieder beruhigt hat. Ausschließlich wird die Behauptung, in Deutschland hätte die Sitcom erst seit dem Debüt der „Golden Girls“ ein Publikum gefunden, durch häufige Wiederholung nicht richtiger. Realiter würde die Liste aller vom deutschen Fernsehen gezeigten US-Sitcoms den hier vorhandenen Raum sprengen. Darum sei nur kurz, aber verschärft erinnert an „Mutter ist die Allerbeste“ (dt. Premiere am 13. Januar 1962). Und von den 34 Prozent Sehbeteiligung bei „Männerwirtschaft“ anno 72 träumen die Gipfelstürmer vom Mainzer Lerchenberg in stillen Stunden noch heute... Harald Keller

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