Chemieindustrie gegen Kontrollen

Der Bundesverband der Chemischen Industrie (VCI) und die IG Chemie blocken externe Kontrollen der Chemiekonzerne ab/ Expertenrunde im hessischen Umweltministerium  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Die chemische Industrie und die IG Chemie lehnen auch nach dem tödlichen Störfall bei Hoechst behördliche Sicherheitskontrollen in der Chemieindustrie ab. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Chemischen Industrie (VCI), Wilfried Sahm, sagte gestern, durch externen Sachverstand ließen sich die Sicherheitsstandards der Industrie nicht erhöhen. Die Betriebe hätten selbst genügend Experten.

Sahm lehnte insbesondere die von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) und dem hessischen Umweltminister Joschka Fischer (Die Grünen) in ungewohnt trauter Zweisamkeit geforderten unangekündigten Sicherheitskontrollen der Aufsichtsbehörden in chemischen Betrieben rundweg ab. Auch der Vorsitzende der IG Chemie, Hermann Rappe, lehnte gestern solche externen Kontrollen ab. Im Saarländischen Rundfunk wird Rappe mit den Worten zitiert: „Ich glaube, daß da der Hase ganz bestimmt nicht im Pfeffer liegt. Was der Töpfer da noch will, weiß ich nicht.“

Sozialdemokraten und Grüne in Wiesbaden sahen das gestern deutlich anders. Sie werteten die Stellungnahme Sahms als „so nicht hinnehmbar“. Für die hessische Landesregierung erklärte Regierungssprecher Georg Dick, daß Sahms Äußerungen – „angesichts der Häufung der Unfälle und der offensichtlich gewordenen Defizite im technischen Bereich und bei der Arbeitsorganisation“ mindestens „grob fahrlässig“ seien.

Im Wiesbaden kam gestern parallel eine Expertengruppe zusammen, um gesetzliche Konsequenzen aus der Störfallserie zu diskutieren. Die Landesregierung will zusammen mit dem Bundesumweltminister eine regelmäßige Kontrolle aller Chemieanlagen in Deutschland in dreijährigen Abständen durch den TÜV durchsetzen. Darüber hinaus ist beabsichtigt, zusätzlich zur Störfallverordnung Spontankontrollen der Aufsichtsbehörden zu legalisieren und die bereits beschlossene Untersuchung von 100 Chemieanlagen in Hessen auch auf andere Anlagenteile auszudehnen. Damit würden auch all die Teilbereiche in den Chemiefabriken in die Kontrolle mit einbezogen, die bislang nur in sogenannten Risikopotentialstudien vermerkt sind.

Auf Bundesebene hat Töpfer die sogenannte Störfallkommission für diesen Donnerstag zu einer Sondersitzung nach Köln einberufen. Die Expertenrunde, der auch der Hoechst-Sicherheitsbeauftragte Jochum angehört, soll Kontrollmaximierungsvorschläge erarbeiten und sicherstellen, daß die Betriebe ihren Pflichten nach der Störfallverordnung in vollem Umfang nachkommen. Die SPD- Bundestagsfraktion beantragte eine aktuelle Stunde zu den Chemieunfällen im Bundestag.

Das Rätsel um die Störfallserie bei der Hoechst AG konnte der Vorstandsvorsitzende der Hoechst AG, Wolfgang Hilger, immer noch nicht lösen. Nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Hans Eichel am späten Montag abend in der Staatskanzlei versprach der Konzernchef aber „durch organisatorische Verbesserungen die Beherrschbarkeit möglicher Störfälle zu verbessern“. Nach Wiesbaden mitgebracht hatte Hilger ein Sofortprogramm zur Erhöhung der Sicherheit bei der Hoechst AG. Und gegen die von Fischer inzwischen vertraglich abgesicherte externe Kontrolle seiner gesamten Produktionsanlagen durch den TÜV-Hessen und den TÜV- Rheinland-Pfalz, legte Hilger kein Votum mehr ein. Ministerpräsident Eichel sagte anschließend, daß es oberstes Ziel der Landespolitik sei, den Chemiestandort Hessen zu sichern – „wobei die Betonung auf ,sichern‘ liegt“.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) forderte eine Arbeitsgruppe aus Töpfers und Fischers Ministerium: Die AG müsse vor allem der Frage nachgehen, warum bei den Chemiegiganten BASF in Ludwigshafen und Bayer Leverkusen weitaus weniger Störfälle als bei Hoechst bekannt würden.