: Waigel im Schuldenrausch, SPD im Erfolgsfieber
■ Rekordverschuldung für den „Solidarpakt“/ SPD-Spitze erklärt Basis ihre Verdienste
Bonn (AP/dpa/taz) – Mit den Beschlüssen zum Solidarpakt hat der Bund seine neuen Schulden auf einen Rekordstand gesteigert. Wie Bundesfinanzminister Theo Waigel am Dienstag vor Journalisten in Bonn mitteilte, erhöht sich die Neuverschuldung des Bundes im Jahre 1993 um weitere 3,6 Milliarden auf 54,7 Milliarden Mark. Waigel rechnet damit, daß im Mai nochmals eine Erhöhung der Schuldenaufnahme nötig wird, wenn die nächste Steuerschätzung aufgrund der schlechten Konjunktur weitere Einnahmeausfälle bringt.
Die zusätzlichen Schulden waren bereits durch den von der Bundesregierung vorgelegten Nachtragshaushalt um acht Milliarden auf 51,1 Milliarden Mark angehoben worden. Waigel sagte, nach der nächsten Steuerschätzung werde die Neuverschuldung „wahrscheinlich nach oben gehen“. 1991, im Jahr nach der deutschen Vereinigung, hatte der Bund seine Schuldenaufnahme auf 52 Milliarden Mark gesteigert, 1992 hatte er 38,6 Milliarden Mark zusätzliche Kredite aufgenommen.
Waigel erklärte, die Einigung über den Solidarpakt habe die Voraussetzungen für einen weiteren Rückgang des Zinsniveaus verbessert. Er glaube, daß der Kompromiß für den Zentralbankrat der Bundesbank ein sehr wichtiges Signal sei und er eine günstige Konstellation für eine Zinssenkung geschaffen habe. Über Zeitpunkt und Ausmaß wolle er aber nicht spekulieren.
Die SPD versorgt indessen - offenbar aus Sorge wegen möglicher Kritik an zu großer Kompromißbereitschaft bei den Solidarpakt- Vereinbarungen mit der Koalition - die Landesverbände, Bezirke und Unterbezirke der Partei mit Argumenten zur Unterstützung der Kompromisse. SPD-Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing schrieb in einem Brief an die „Lieben Genossinnen und Genossen“ in den Verbänden und Bezirken: „Die SPD hat Wort gehalten. Die sozialen Kürzungen sind vom Tisch.“ Die Vereinbarung übernehme in weiten Teilen den 20-Punkte-Katalog der SPD vom 15. Februar.
Es sei „wirtschaftlich vernünftig“, die industriellen Kerne in Ostdeutschland zu sanieren und die „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht zu stoppen, sondern...auszuweiten“. Es sei „sozial gerecht“, daß der Solidaritätszuschlag ab Januar 1995 eine „soziale Komponente“ bekommen solle und daß die Sozialleistungen unangetastet blieben. Es sei „ökologisch sinnvoll“, mit einem Investitionsprogramm die kommunale Infrastruktur der neuen Länder auf- und auszubauen, ökologische Altlasten zu beseitigen und das Verkehrssystem durch die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs zu modernisieren.
„Wann je in der Vergangenheit hat eine Oppositionspartei so viele ihrer eigenen Vorstellungen durchführen können“, fragte Blessing. Erstaunlicherweise kommt ihm nach diesem Wasserfall von Erfolgsmeldungen auch noch in den Sinn, daß die Genossen „nicht alle Positionen (haben) durchsetzen können“. Die Partei habe sich eben nicht verweigern wollen. Blessings Appell zum guten Schluß: „Ich bitte euch, die Ortsvereine in diesem Sinne zu unterrichten.“
Das SPD-Präsidiumsmitglied Rudolf Dreßler hat der Appell zur Geschlossenheit schon erreicht. Er erläuterte im Deutschlandfunk seine Forderung, am Solidarpakt nachzubessern, bedeute nicht, das Paket aufzuschnüren. Es gehe nur darum, unerledigte Dinge über SPD-Initiativen im Bundestag zur Debatte zu stellen.
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