: Bonner Hammer schwingt ins Leere
■ Anweisungen zur "Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs" sorgen im Hamburger Arbeitsamt für schlechte Stimmung
sorgen im Hamburger Arbeitsamt für schlechte Stimmung
Miese Laune, Ratlosigkeit, Empörung — der Hammer, den Bundesarbeitsminister Norbert Blüm zur Aufbesserung der solidarpaktgeschädigten Bonner Kassen unter dem Motto „Bekämpfung von Leistungsmißbrauch“ schwingen will, sorgt im Hamburger Arbeitsamt für dicke Luft. Seit einer Woche liegt dort eine Anordnung (siehe Kasten) auf dem Tisch, mit der Bonns versammelte Politikerschar einen Teil jener Milliardensumme einzunehmen gedenkt, die ihr für die Finanzierung der deutschen Einheit so sehr fehlt.
Ob das im Hauruck-Verfahren ausgehandelte Sparverfahren allerdings auch umsetzbar ist und welche Konsequenzen sich für Hamburgs Arbeitslose ergeben, dazu konnte Arbeitsamt-Sprecher Manfred Klostermann gestern keine Auskunft geben. Er ließ sich lediglich zu einem unwirschen „keine Ahnung“ herab.
Auskunftsfreudiger, aber ebenso ratlos zeigen sich Beschäftigte der Behörde. „Wie das umgesetzt werden soll, weiß derzeit kein Mensch,“ meint Hansmichael Gstall von der ÖTV-Betriebsgruppe.
Daß durch Blümsche Anweisung harte Zeiten auf die Arbeitsamtsmitarbeiter zukommen, steht aber fest. Durch die verordneten monatlichen Meldekontrollen von LeistungsbezieherInnen würden rund 10000 Erwerbslose zusätzlich auf den Fluren Schlange stehen müssen, rechnet die ÖTV vor. Und dies angesichts eines ohnehin existierenden Personalmangels samt Aktenstau: Alleine in der Abteilung für Arbeitslosengeld und Fortbildung türmen sich derzeit 5000 unbearbeitete Fälle aus dem Vorjahr.
Auch die Anweisung, die Zumutbarkeitsanordnung künftig strikt auszulegen (nach vier Monaten Arbeitslosigkeit werden unqualifiziertere und schlechter bezahlte Jobs als „zumutbar“ definiert und vermittelt) trifft bei den Gewerkschaftern auf wenig Gegenliebe. Sie wird nach Einschätzung Gstalls das Klima für Hilfesuchende und Kolleginnen zusätzlich vergiften.
„Mißbrauch der Beschäftigten“ nennt die Hamburger ÖTV denn auch die Bonner Pläne: Denn statt Beratung und Vermittlung stehe jetzt Bespitzelung von Schwarzarbeitern auf dem Dienstplan.
Zusätzliche Stellen als Ausgleich für den Mehraufwand sind nicht in Sicht, auch wenn die kommissarische Arbeitsamts-Chefin Renate Kneiser eine Prüfung dieser Frage in Aussicht stellt. Eine Prüfung, die selbst ihr Sprecher Klostermann angesichts der klammen öffentlichen Kassenlage für sinnlos hält.
So wird es wohl noch ein wenig dauern, bis Hamburgs Arbeitslose die Folgen des Solidar-Kraftakts richtig zu spüren bekommen, auch wenn hier und da schon mal eine Einladung zur Meldekontrolle abgeschickt wird, die früher noch ein Weilchen liegengeblieben wäre.
Anlaß zum Jubel oder zur langen Nase in Richtung Bonn besteht angesichts der Umsetzungsprobleme jedoch nicht. Stellt sich nämlich bis Ende Juni heraus, daß die erhofften Spareffekte nicht eintreten, droht aus Bonn der nächste Hammer. Nachverhandlungen in Sachen Solidarpakt. Auf der Tagesordnung dann erneut: Eine lineare Kürzung der Arbeitslosenhilfe. Sannah Koch
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