: Informatik entdeckt Menschen
■ "Software"-Spezialisten suchten nach ergonomischen Computerprogrammen
Informatik entdeckt Menschen
„Software“-Spezialisten suchten nach ergonomischen Computerprogrammen
„Menschen sollen sich nicht an die Computer anpassen, die Computer sollen sich an die Menschen anpassen!“ Unter diesem Motto haben sich an der Bremer Uni zu Beginn der Woche rund 230 Informatiker, Psychologen und Arbeits-Wissenschaftler mit EDV- Spezialisten aus der Praxis getroffen, um die komplizierten Folgen der einfachen Forderung für die Entwicklung von Computer- Programmen („Software“) zu diskutieren. „Noch immer wird in vielen Unternehmen die Arbeitsorganisation nicht nach den Bedürfnissen der Beschäftigten, sondern nach den Erfordernissen einer vorgegebenen EDV-Software eingerichtet“, sagt Karl-Heinz Rödiger, Hochschullehrer im Bremer Uni-Fachbereich Mathematik/Informatik und Organisator der Tagung des „German Chapter of the Association for Computing Machinery“ (ACM).
Den Grund für diesen falschen Umgang mit moderner Technik sieht Rödiger vor allem in der mangelnden Bereitschaft und Fähigkeit der Software-Produzenten, flexibel auf die Anforderungen moderner Arbeitsplätze einzugehen. „Es wird zwar viel von 'intuitiver Benutzung' geredet, aber in der Praxis ist man noch weit davon entfernt, den Rechner einmal so selbstverständlich zu benutzen, wie man heute zum Beispiel mit dem Auto fährt“, sagt Rödiger nach Abschluß des dreitägigen Bremer Kongresses.
Zwar hätten grafische „Benutzungsoberflächen“ am Computer einen entscheidenden Fortschritt im Sinne der Arbeitspsychologie gebracht, die dem optischen Wiedererkennen von Funktionsweisen beim Umgang mit Computerprogrammen einen weit höheren Stellenwert als dem Auswendiglernen von Befehlen gibt. Doch inzwischen stagniere die Entwicklung. Und gerade die Experten in Wirtschaft und Technik seien immer mehr genervt von Programmen, die zwar viel Augenzauber erzeugten, aber dann viel zu viele Tastendrücke zur Bedienung erforderten.
Auf der Tagung kam dazu die Forderung, nach Programmen, die sich an die wachsenden Fähigkeiten ihrer Benutzer anpassen: am Anfang mit möglichst viel Hilfen und grafischer Aufbereitung, später dann aber mit der Möglichkeit, sich mit immer knapperen Eingaben durch die Software zu bewegen.
Einigkeit bestand zwischen den Kongreß-Teilnehmern aus den unterschiedlichen Bereichen auch darüber, daß in der Forschung eine stärkere Verbindung der Informatik mit Psychologie und Arbeitswissenschaft gesucht werden müsse. Der Berliner Arbeitspsychologe Walter Volpert forderte dafür sogar eine neue wissenschaftliche Disziplin, die „Arbeitsinformatik“. Dem schloß sich selbst Austin Henderson von der Xerox-Denkfabrik aus dem kalifornischen Palo Alto an, die sich der Sofware-Entwicklung zunehmend unter arbeitspsychologischen Aspekten nähert.
Doch selbst die beste in diesem Sinne entwickelte Software stoße spätestens bei den festgefahrenen Strukturen in deutschen Unternehmen an ihre Grenzen, ahnt der Bremer Informatiker Rödiger: „Eine 'Scheißarbeit' bleibt auch mit der schönsten Benutzungsoberfläche eine 'Scheißarbeit'.“ Zwar bietet die EDV inzwischen die Möglichkeit, Arbeitsplätze vielfältig zu gestalten, stupide Erfassungsaufgaben mit anspruchsvollen Arbeitsschritten zu kombinieren, doch „Firmen investieren nicht gerne in bessere, qualifizierte Arbeitsplätze, sondern lassen sich lieber von den Software-Herstellern Sand in die Augen streuen mit der Behauptung, sie müßten nur das neueste Programm kaufen und schon wären ihre Arbeitsorganisationsprobleme gelöst“, sagt Rödiger. Schließlich erweise sich der Mensch allemal flexibler als jedes Computerprogramm. Kein Wunder also, daß kein einziges der eingeladenen Großunternehmen zur abschließenden Diskussionsrunde der Tagung, „Software-Ergonomie als Lernprozeß im Unternehmen“, erschienen war. Ase
Die Vorträge der Bremer Tagung sind in einem Reader abgedruckt: Karl-Heinz Rödiger, Software-Ergonomie '93, Teubner-Verlag, Stuttgart, 78 Mark.
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