: Nicht mehr Leibeigene der Ärzte
■ Als Patientenhelferinnen finden Frauen wieder zurück in den Heilberuf
Berlin. Zehn Jahre lang hat Christine S. von der Sozialhilfe gelebt. Mit 29 war sie aus ihrem Beruf als Krankenschwester ausgeschieden. Ihr kärgliches Einkommen stockte die alleinstehende Mutter durch Hauskrankenpflege auf. Eine feste Anstellung zu finden, schien nach der langen Pause so gut wie aussichtslos.
Trotzdem hat Christine S. ab Mai wieder Arbeit – als Arzthelferin in einer Steglitzer Internisten- Praxis. Dort macht sie gerade ein Praktikum im Rahmen ihrer Umschulung zur Patientenhelferin an der Volkshochschule Steglitz. Die Modellmaßnahme „Patientenhelferin“ des Landes Berlin wurde ursprünglich von einigen Steglitzer Ärzten angeregt, die einen Rückgang der Bewerberinnen für Stellen in ihren Praxen feststellten. Die Volkshochschule Steglitz organisierte daraufhin ein Projekt für die Umschulung von Frauen mit medizinischer Vorbildung zur Patientenhelferin. Im Oktober 1991 begann der Kurs mit achtzehn Teilnehmerinnen, darunter zwölf alleinstehende Mütter. Die Mehrzahl der Frauen war um die vierzig und seit Jahren arbeitslos.
„Nach so langer Pause haben viele Probleme damit, wieder anzufangen. Das ist auch eine Frage des Selbstvertrauens.“ Vor allem auch die Bürokratie habe es den Frauen nicht leichter gemacht: „Schließlich müssen diese Frauen ständig zum Sozialamt, Anträge stellen und alles Mögliche belegen“, erklärt Bärbel Tegtmeier, die das Projekt zusammen mit der Pädagogin Anne Brulez betreut. „Da könnten die auch statt dessen zu Hause bei ihren Kindern bleiben und weiter Sozialhilfe bekommen.“
Daß dennoch fast alle Teilnehmerinnen dabeigeblieben sind, liegt sicher auch an der Vielseitigkeit des Unterrichts. „Mir hat es um jede Stunde leid getan, die ich verpaßt habe“, erzählt Christine S. Am meisten hat sie sich für das Fach „Kenntnisse des psychosozialen Netzes von Berlin“ interessiert, in dem sich Organisationen wie „Wildwasser“ und die Sozialstationen in Berlin vorgestellt haben. Mit diesem Wissen sollen die Frauen später – in Absprache mit dem Arzt – Patienten beraten, wohin sie sich mit ihren besonderen Problemen wenden könnten. „Der Schwerpunkt liegt bei unserem Kurs auf der Patientenbetreuung“, erklärt Frau Tegtmeier. Außerdem steht jedoch alles im Curriculum, was eine Arzthelferin lernt: medizinische Grundlagen, Umgang mit Arzneimitteln, Büroorganisation und das Führen von Patientendateien.
Ein staatlich definiertes Berufsbild „Patientenhelferin“ gibt es nicht. Die neue Bezeichnung, meint Bärbel Tegtmeier, solle auch ausdrücken, daß man mit der klassischen Tätigkeit einer Arzthelferin nicht einverstanden sei. „Das ist ein typischer Frauenberuf – schlecht bezahlt, ein reiner Zuarbeiterjob“, meint sie.
Das hat auch die 28jährige Evelyn R. erfahren, als sie mit achtzehn zu arbeiten anfing: „Arzthelferinnen werden praktisch als Leibeigene gehalten – ich war sofort total bedient von dem Beruf.“ Nachdem sie in einem Kibbuz gearbeitet und sich an allen möglichen Jobs versucht hat, hat Evelyn die Umschulung zur Patientenhelferin angefangen. Schon vor Ende des Kurses im April dieses Jahres wurde sie in einer Praxis eingestellt, wo sie im Gespräch mit den Patienten anwenden kann, was sie an der Volkshochschule gelernt hat. Jetzt gefällt ihr der Beruf: „Ich glaube, ich habe es endlich geschafft.“ Miriam Hoffmeyer
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