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Medienschelte und flottes Marketing

Eine Podiumsdiskussion zum Thema „Tourismus in den Medien“. Kritik an der journalistischen Zuckersoße um von der Bacardi-Werbung zu lernen, wo es doch im Tourismus um Gefühl und Freiheit geht.  ■ Von Christel Burghoff

Für Provokationen ist Felizitas Romeiß-Stracke, Professorin an der Fachhochschule München, allemal gut. Kritik am sanften Tourismus? Unter dem Applaus der Tourismusbranche machte sie aus sanften Touristikern „Apostel des sanften Reisens“ und stellte sie in die Ecke einer mittelalterlichen Sekte. Kritik an den Schönschreibern in den Reiseressorts? Im Kreise renommierter Medienvertreter auf der Internationalen Tourismus-Börse stellte sie dieses Mal die Diagnose: „Zuckersoße, Verdrängung und Strategie“. Was im Reisejournalismus passiert, nötigte der Sozialwissenschaftlerin schlicht die Bezeichnung „klebrig“ ab. Man schreibe um jeden Preis Attraktivität herbei, wo doch Banalitäten souverän übersehen werden könnten; beharrlich werden schöne Klischees über die Runden geschleppt, damit nicht die häßliche Wirklichkeit ins Bild rücke. Tourismus in den Medien: eine Kombination aus schönem Schein und seiner zähen Existenzbehauptung, reine Zuckersoße also, um Touristen anzulocken. Daß die häßliche Realität verdrängt wird, dient, wie Romeiß-Stracke dozierte, der psychischen Selbsterhaltung und ist ein gesellschaftliches Phänomen. Aber statt Illusionsbildung zu betreiben, sollte die Rolle der Medien doch eine andere sein: Journalisten sollten Bewußtseinsbildung und Problemlösung fördern.

Die so Angesprochenen hatten sich weggeduckt. Nur wenige Medienvertreter mochten die Journalistenschelte über sich ergehen lassen, schließlich weiß man insgeheim selbst, wie schlecht man ist. Selbst die öffentliche Meinung über den Reisejournalismus ist schlecht: reine Promotion, Productplacement auf Hochglanzpapier; in den Reiseressorts tummeln sich reisefreudige und käufliche Hofberichterstatter, die sich mit unernsten Themen befassen und entsprechend banal produzieren. „Zauberhaft, romantisch, idyllisch, originell, sehenswert, reizvoll, berühmt, stimmungsvoll, erholsam, gepflegt ... wer seine potentiellen Reiseziele gerne vorab touristisch etikettiert haben möchte, wird bestens bedient, denn auch der Wille des Kunden ist dem Schreiber Befehl. In der Tat hechten im Zangengriff von Auftraggebern, Reisesponsoren und dem vermeintlichen Blick des Touristen in der Regel schlechtbezahlte Freiberufler den touristischen Highlights hinterher. Kritik an der „Zuckersoße“ selbst kommt in den Redaktionen nicht gut an, und Öko-Themen hält auch Romeiß-Stracke für unerwünscht: „Das Schlimmste, was einem passieren kann, sind naturkritische Arroganz, gepaart mit ökologischem Halbwissen.“ Wer durch „elitären Hochmut und abgedroschene Tourismuskritik“ auffällt, sollte besser das Ressort wechseln. Die Leute seien längst nicht so blöd, daß sie sich etwas vormachen ließen, meinte die Professorin. Sind die Medien dumm?

So heftig die Journalistenschelte daherkam, so harmlos geriet die empfohlene Strukturveränderung im Reisejournalismus. Eigentlich auf soziologische Überlegungen abonniert, überging die Professorin jedoch die ökonomischen Bedingungen der Branche genauso salopp wie die Abhängigkeiten der schreibenden Zunft vom Sponsor Tourismusindustrie. Statt vernünftiger Politik empfahl sie eine kleine Oberflächenkorrektur. Denn nach Einschätzung von Romeiß-Stracke schreiben die Medien gezielt an Bedürfnissen der Leser vorbei – sie haben es bloß noch nicht bemerkt. Längst sind wir von der „Arbeitsgesellschaft“ in die „Erlebnisgesellschaft“ übergewechselt, meinte sie, und Reisen sei ein Lifestyle- Thema geworden. Mit „Häppchenjournalismus“ und der traditionell verschämten Beschränkung auf Urlaub und Reisen sei dem Leser nicht mehr gedient. Daß es mit dem Reisejournalismus so schlecht aussieht, ist somit – kurz gesagt – die Folge einer Fehleinschätzung der neuen Bedürfnislage. Und damit der Reisejournalismus von seiner „Zuckersoße“ wegkommt, will ihm Romeiß-Stracke ein neues marktgerechtes Konzept verpassen. Die Medien sollen sich auf ein sogenanntes „Erlebnisvagabundentum“ einstellen und dem modernen Erlebnistyp doch geben, was er braucht, nämlich Lifestyle- Konzepte.

Ein neuer Fall einer Marketingstrategie für die Tourismusindustrie also. Dem Lifestyle verpflichtet und dem Lifestyle auf der Spur, landete die Professorin denn auch umstandslos bei der Werbung: „Vorbildlich, was die Bacardi- Werbung da produziert“, meinte sie. Was in der Tourismuswerbung niemand hinkriegt – Bacardi trifft die wahren Bedürfnisse der Erlebnisgesellschaft. Die bonbonfarbige Südseeidylle von Sonne, Strand und Happy-hour ist ein Stimmungsbild gelungener Glückseligkeit.

Ist das der journalistische Beitrag zur Problemlösung und zur Bewußtseinsbildung, den sie meinte? Man muß es wohl annehmen, denn, wie Romeiß-Stracke betonte, in diesem kleinen Spot werden die Gefühle der Menschen nach „Liebe und Freiheit“ ernst genommen. „Traumschiff“, „Sterne des Südens“: „Natürlich distanziert man sich als anständige Intellektuelle davon“, aber nichtsdestotrotz haben ihr diese Fernsehserien sehr gut gefallen, als „Seelsorgeersatz“ sozusagen und als ein gelungener Versuch, „die verdrängten Alltagsprobleme und die Leiden der Moderne“ zu zeigen. Kein Wort von Kitsch oder marktwirtschaftlich erzeugter Nachfrage: die Bedürfnisse sind echt! „Die Tourismusbranche hat Berührungsängste vor ihrer eigenen zentralen Produktkomponente, dem Gefühl“, meinte sie, „aber nur wenn man etwas Verdrängtes heraufholt, ist man in der Lage, intelligent damit umzugehen.“

Das ist schön durchdacht, und die Tourismusbranche kann sich bei der Professorin für ihre Tips bedanken. Es fragt sich natürlich nur, ob die Welt der wahren Gefühle mit dem kleinen Glück im Urlaubsclub identisch ist, oder sollte Romeiß-Stracke verdrängt haben, daß auch der Tourismus von Horror, Sex & Crime zehrt? Wie uns die Realität tagtäglich vorführt, entzündet sich des Volkes Begeisterung heftig an Katastrophen, Gewalt und vielerlei unschönen Eruptionen verdrängter Gefühle, und längst denken fortschrittliche Denker über neue Formen des inszenierten Katastrophentourismus nach. Dem friedvoll übersättigten modernen Alltagsmenschen hilft schlechterdings nur der definitive Kick in den Horror, um seine verdrängten Potentiale zu knacken. Wo Courts-Mahler simuliert wird, kann und darf Rambo nicht außen vor bleiben: Bevor die Reisejournalisten vorschnell ihre abgedroschenen Stereotype über Bord werfen, empfiehlt sich im Sinne von Romeiß- Stracke doch erst ein Fortbildungskurs in Inszenierungstechnik bei Walt Disney.

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