: Morbide Ästhetik
■ Diskussion über Megatrends
Sind Industrieanlagen, marode oder zerfallende gar, touristisch attraktiv? Mit Schornsteinschloten, die jahrzehntelang Gift in die Luft geblasen haben, mit Fabrikhallen aus dem Horrorkabinett des 19. Jahrhunderts lassen sich im postindustriellen und umweltsensiblen ausgehenden 20. Jahrhundert mitnichten Touristen aus ihren Lifestyle-Träumen reißen – sollte man meinen. Der Porzellanhersteller Villeroy & Boch beispielsweise zählt im Saarland dennoch rund eine halbe Million Besucher jährlich. Das Phänomen wird als „Kulturtourismus“ bezeichnet, ein „Megatrend“, wie Albrecht Steinecke vom Europäischen Tourismusinstitut Trier auf der Internationalen Tourismus-Börse konstatierte. Jeder vierte außereuropäische Tourist verbinde mit seinem Europabesuch kulturelle Interessen.
Mit Blick auf tourismuskritische Grundeinsichten bemerkten die Forscher mit Genugtuung, daß sich im Kulturtourismus Interessen am kulturhistorischen Erbe behaupten, die nicht im Trend nach Schöngefärbtem liegen. Ob aus Lust an der morbiden Ästhetik ausrangierter Hochöfen oder aus Neugier an verflossener Industriegeschichte: der Industrietourismus ist ein erstaunlicher Selbstläufer. Christel Burghoff
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