: Ohne Ökologie kein NAFTA
US-Demokraten wollen mehr Umwelt- und Arbeitsschutz im nordamerikanischen Freihandelsabkommen ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid
Seit drei Tagen laufen die Nachverhandlungen zum nordamerikanischen Binnenmarkt in Washington. Auf der Tagesordnung stehen auf Wunsch der demokratischen Mehrheit des US-Kongresses und gegen den Willen der mexikanischen Regierung Zusatzabkommen zu Ökologie und Arbeitsschutz. Ohne diese sind die Demokraten nicht bereit, das unter Bush ausgehandelte North American Free Trade Agreement (NAFTA) zwischen Kanada, den USA und Mexiko zu verabschieden.
Läuft alles nach Wunsch der Nafta-BefürworterInnen, so sind ab Januar nächsten Jahres 84 Prozent aller mexikanischen Verkäufe in die USA vom Zoll befreit, nach einer Übergangsfrist von zehn Jahren werden es fast 100 Prozent sein. Umgekehrt sind zwar vorerst nur 43 Prozent der US-Lieferungen nach Mexiko zollfrei, doch auch hier sollen es nach zehn Jahren 99 sein. Nur einigen besonders sensiblen Gütern, wie dem mexikanischen Mais und Bohnen, wird eine Schonfrist von 15 Jahren eingeräumt. Doch nach Ablauf dieser Frist wird sich auch das mexikanische Nationalgetreide auf dem Weltmarkt bewähren müssen: um konkurrenzfähig zu werden, muß sein Preis um das Zweieinhalbfache fallen – mit verheerenden Folgen für 90 Prozent der nationalen MaisbäuerInnen.
Flankiert werden die neuen Zollregelungen von einem umfangreichen Paket von Gesetzes- und sogar Verfassungsänderungen, die alle zum Ziel haben, etwaige Fesseln gegenüber dem Auslandskapital zu lockern: so wurde zum Beispiel die Landwirtschaft und der Bankensektor „geöffnet“ und keinerlei Bedingungen mehr über nationale Anteile, die Reinvestition der Gewinne oder Technologietransfer gestellt. Eine Tür allerdings war trotz intensivster US-Bemühungen verschlossen geblieben: das 1938 nationalisierte Erdöl ist weiter dem mexikanischen Staat vorbehalten.
Die künftige nordamerikanische Freihandelszone wäre größer als der europäische Binnenmarkt, zumindest in alter Zwölfer-Zusammensetzung. 360 Millionen Menschen leben in den drei Ländern und produzieren zusammen Waren und Dienste von etwa 6.5 Billionen US-Dollar pro Jahr. Von diesen werden allerdings nur etwa 3 Prozent von dem mittelamerikanischen Vertragspartner erwirtschaftet – auch wenn die MexikanerInnen fast ein Viertel der nordamerikanischen Bevölkerung ausmachen.
Die extreme US-Fixierung des kleinen Bruders im Süden führt schon jetzt alle Sonntagsreden über Diversifizierung und Multilateralität ad absurdum: über 40 Prozent der öffentlichen Außenschuld sind in Hand von US-Banken, über 60 Prozent der „Maquiladoras“ (Exportfabriken) an der Nordgrenze gehören US-Amerikanern. Last not least: fast dreiviertel der mexikanischen Exporte gehen in die USA, dagegen verkaufen diese nur etwa 8 Prozent nach Mexiko.
Dem Namen nach ist das Agreement ein Handelsabkommen; tatsächlch aber wird – sowohl von BefürworterInnen wie von KritikerInnen – seine Funktion als Lockvogel für ausländische Investitionen in Mexiko hervorgehoben: bei attraktiven Marktchancen im nord- und besonders natürlich US- amerikanischen Raum wird Mexiko immer mehr zum interessanten Produktionsstandort. Und kein anderer Präsident ist von US-amerikanischen Managermagazinen in den letzten Jahren so gelobt worden wie der seit vier Jahren amtierende Harvard-Absolvent Carlos Salinas de Gortari. In wenigen Jahren war es dem kleinen drahtigen Technokraten gelungen, die galoppierende Inflation bis auf 12 Prozent (1992) zu drücken, den Schuldendienst zumindest erträglich zu gestalten und einigermaßen konstante Wachstumsraten von 3.6 Prozent (1991) und 2,7 Prozent (1992) zu verzeichnen.
Ein mittleres Wunder scheint Beobachtern die Verwandlung des chronischen Haushaltsdefizits in einen Überschuß von einem Prozentpunkt im letzten Jahr; und auch die öffentliche Verschuldung liegt bei „nur“ 39 Prozent des BIP (im Vergleich: USA 63 Prozent). Vor allem aber wird der salinistischen Wirtschaftspolitik der verstärkte Fluß ausländischer Kapitale ins Land zugute gehalten: waren es bei seinem Amtsantritt 1988 gerade fünf Milliarden Dollar ausländische Direktinvestionen, so sind es heute schon an die 25 Milliarden US-Dollar. Auch in Sachen Privatisierung ist Mexiko Musterschüler gewesen: von den ehemals knapp 1.200 Staatsbetrieben sind bis auf knapp 200 schon alle verkauft.
Der wunde Punkt der Vorzeigeökonomie sind allerdings ausgerechnet seine außenwirtschaftlichen Beziehungen: 1992 kletterte das Leistungsbilanzdefizit auf rund 20 Milliarden US-Dollar. Und dann gibt es da noch einen kleinen Haken in der glänzenden neoliberalen Bilanz: nach offiziellen Angaben leben heute fast 40 der 86 Millionen MexikanerInnen in Armut, fast die Hälfte von ihnen im Elend. Vor zehn Jahren, zu Beginn der volkswirtschaftlichen „Genesung“, waren es noch um die 14 Millionen gewesen. KritikerInnen meinen denn auch, daß das Abkommen nur einer „Industrie- und Finanzelite“ zugute komme.
Bis zum Jahre 2002 – so das US- Institut für Wirtschaftsstrategie – könne Mexiko einen Überschuß bis zu 17 Milliarden Dollar erwirtschaften und hätte in dieser Zeit rund 600.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Und es ist die Befürchtung der mächtigen US-Gewerkschaften, die gegenwärtig gegen den Vertrag Sturm laufen, daß ihnen genau diese Arbeitsplätze verlorengehen: die Verlagerung ganzer Industriezweige gen Süden wird befürchtet, um dort die wesentlich niedrigeren Löhne sowie die laxere Anwendung von Arbeits- und Umweltgesetzen zu nutzen. Die US-Industriellen dagegen fürchten eher die möglichen Billiganbieter aus dem Süden.
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