: Leidenschaftsloser Zweiphasen-Fußball
■ HSV: Solides Hamburger Fußwerk reicht gegen die Leverkusener Ballsportdiven zu einem 1:1 / Rhode verwandelte Elfer
Solides Hamburger Fußwerk reicht gegen die Leverkusener Ballsportdiven zu einem 1:1 / Rhode verwandelte Elfer
Ulf Kirsten prescht vor, guckt nach Andreas Thom, wartet auf den richtigen Moment für den richtigen Paß – und grinst den Kumpel mit der Nummer elf liebevoll an, als die Aktion schiefgeht. Mit Andi zusammen zu zaubern, ist immer großartig. Wenn es gelingt, ist es genial — kleine Pannen nicht der Rede wert.
Ulf Kirsten rennt in den Strafraum, den Blick wie magnetisiert auf den Ball an Pavel Hapals Füßen geheftet. Die Flanke mißlingt, Hapal darf kein nachsichtiges Lächeln von seiner Nummer neun erwarten. Kurz strafen Kirstens wütende Armbewegungen: Ei Hapal, guck her wo ich steh, taube Nuß!
Ulf Kirsten ist hundsgemein zu Freund und Feind in den Fußballerreihen. Mit düsterem Blick, geharnischtem Zorn und mitunter körperlichen Attacken amokartiger Ausprägung verfolgt er jeden, der nicht so will wie er. Das darf er alles, denn er ist ein genialer Fußballer. Als gegen den Hamburger SV Mitspieler Andreas Fischer in der 14. Minute das 1:0 erzielte, hatte Kirsten mit eiskaltem Paß in den Rücken von Jürgen Hartmann die Vorarbeit geleistet, besser gesagt: das brillante Entree geliefert.
Auch der HSV hat eine Nummer neun. Jan Furtok ist überhaupt nicht genial, sondern nur solide ausgebildet. Zum Tyrannen taugt er auch nicht, hat ein zu freundliches Gemüt. Wenn Jan Furtok mit Yordan Lechtkov zusammenspielt, dann ist nichts wirklich Zauberhaftes zu erwarten, dann wühlt sich die Nummer elf an der Außenlinie entlang und der Mittelstürmer wieselt nervös in Strafraumnähe. Das Zuspiel klappt oder klappt nicht, das Publikum kommt so oder so kaum ins Staunen.
Doch trägt auch solide Arbeit ihre Früchte: Ein Paß von Lechtkov auf Furtok, ein Gegenspieler Kree, der den Ball dem Gegner zu- statt wegspitzelte, anschließend eine klassische Strafraumaktion – ein Schubser (Kree), ein dorfbühnenreifer Fall (Furtok), ein Elfmeter (Rohde) – da hatten nach 38 Minuten die Hamburger Fußwerker den Diven von den Bayer-Werken endgültig den Schneid abgekauft. So einfach ist das.
Eigentlich hätte der HSV noch ein Tor und noch einen Punkt mehr holen müssen. Denn das Bayer-Ensemble mit seinen Stars und Sternchen wiederholt mit beängstigender Sicherheit Spiel für Spiel denselben Rhythmus. Agiert stets die erste Viertelstunde so euphorisch und engagiert, als stünden alle Mann unter Aufputschmitteln, dann scheint ein kollektives „Ach je, welche Müh!“ durch die Reihen zu gehen; fortan meint man, die Männer litten unter schwerem Kater und könnten nur noch mühsam Grundfunktionen aufrecht erhalten, zuvörderst das geniale Duo Kirsten-Thom.
Der zwanghafte Ablauf dieser Zwei-Phasen-Auftritte ist weder durch eigene noch durch gegnerische Tore zu durchbrechen. Das einzig Überzeugende, was die Leverkusener konsequent erreicht haben, ist das Image leidenschaftslos zu sein.
Die Hamburger aber, die nichts weniger als eine begabte Mannschaft sind, hatten sich auf dem Leverkusener Rasen angestrengt,
1richtig Mühe gegeben und „für unsere Verhältnisse einen guten Fußball gespielt“ (Trainer Möhlmann). Die gewohnt zahlreichen Fans dankten es ihnen begeistert. Bei
1den Spielern war nach dem Gang in die Kurve „gute Stimmung in der Kabine“ (Möhlmann).
Bei den Bayer-Spielern hingegen ist von bedrücktem Schweigen un-
1ter der Dusche auszugehen. Vielleicht war es auch reines Schweigen und ein flüchtiger Gedanke: „Ach ja, Fußball...“
Katrin Weber-Klüver
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