■ Stadtmitte: Wem gehört das Stadtzentrum?
Die Debatte läuft wie immer fixiert auf die großen Objekte. Es ist Jagdzeit, und jeder Bonner Minister, der auf sich hält, muß dabeisein, und wir auch. Aber darum geht es nicht. Schon die Reduktion des Stadtzentrums auf staatliche Klötze, um die man sich nun streiten kann, ist der Fehler. Dieser Fehler ist DDR-Erbe. Deshalb ist nichts gewonnen, wenn man mit sozialistischen Krokodilstränen feststellt, das DDR-Erbe dürfe nicht plattgemacht werden. Dieses Erbe hier ist volksfeindlich und gehört plattgemacht, und wer es gar noch mit ästhetischen Argumenten verteidigt, lügt gleich doppelt.
Ob dieser oder jener Klotz abgerissen wird, ist also unwichtig. Die Grundfrage ist — man kann es gar nicht oft genug sagen —, wem das Stadtzentrum gehören wird, dem Bund, als Erben der DDR, oder möglichst vielen, darunter – über zentrale kulturelle Nutzungen – eben auch den BerlinerInnen.
Diese Frage ist nur im Blick auf den gesamten Stadtteil zu diskutieren. Spreeinsel ist ein Bonner Herrschaftskürzel, das alle Geschichte ausräumt und die leere Fläche mit einem Griff verfügbar macht. Es geht aber gerade um das Weggelassene: um die im Gelände liegende Spannung des wirklichen Berlin. Das ist einerseits komplexe Bürgerstadt: die Gründungsstadt Alt- Cölln, andererseits der übergroße Herrschaftsort, das Schloß der Hohenzollern. Die Palast-Diskussion ist deshalb kurzatmig – ob man abreißt oder nicht, es geht um viel mehr als dieses Ostberliner ICC.
Ähnlich beim Staatsratsgebäude. Jetzt kann man es zum ersten Mal von innen sehen. Da zeigt es sich von so monumentaler Blödheit und mit so ekligen Details, daß ich mich frage, wie sich ein sensibler Mensch aufraffen können soll, für seine Erhaltung zu plädieren. Aber wieder ist das nicht der Punkt. Worum es geht, ist nicht die Qualität des Klotzes, sondern seine städtebauliche Funktion. Diese besteht darin, das bürgerliche Cölln – die Breite Straße – gegen die Staatszone abzuriegeln. Die zwei schönsten Bürgerhäuser Berlins, das Nicolai- und das Galgenhaus, liegen so im Hinterhof, kaum einer findet sie. Deshalb, und aus gar keinem anderen Grunde, muß das Gebäude abgerissen werden.
Es geht nicht um den mißglückten Fetisch Staatsratsgebäude, sondern um die vergangene und die mögliche zukünftige Stadt. Genauer gesagt: Es geht um den intuitiven Mittelpunkt der Stadt. Die ganze Verteilungsdiskussion ist pervers. Keine andere Kulturnation ließe es sich gefallen, daß man sich in dieser Form um das historische Zentrum rauft. Das Zentrum ist besetzt, es ist randvoll mit Gewesenem und heutigen Wünschen, und wenn wir nicht ewig vor der eigenen Geschichte weglaufen wollen, dann müssen wir uns dazu bequemen, die Grundzüge zu vergegenwärtigen: einerseits das Schloß, was im einzelnen auf ein intellektuell höchst spannendes dekonstruktives Projekt hinausliefe, andererseits die gemischte zivile Stadtstruktur, ein ebenso spannendes urbanistisches Abenteuer. Wenn der Staat da mitspielen will, gut, aber nicht als Beamtenkolonie.
Je stärker die Worte, desto größer der Nebel. Sicher ist, daß die Beutekämpfe (Außen-, Innenminister usw.) sich zuspitzen. Daß der Bundeskanzler die Villa Borsig für vorgezogene Präsenz bevorzugt, ist ein Schritt in Gegen-, d. h. in die richtige Richtung. Die Bonner Freibeuter sind schwach und konzeptlos. Jedes Gegenprojekt hat Chancen, sobald es akzeptiert und von den BerlinerInnen getragen wird.
Gegenprojekt kann kein Architektenentwurf sein, sondern nur ein Konsens darüber, die Dialektik des Stadtzentrums wieder herzustellen. Das ist kein politisches Verteilungsproblem, auch kein europäisches Kulturprojekt (sollen die anderen unsere Hausaufgaben machen), sondern unsere eigene Bewährungsprobe in Sachen städtischer/nationaler Kultur. Dieter Hoffmann-Axthelm
Der Autor ist Stadtplaner und Publizist.
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