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Verletzte aus Srebrenica evakuiert

UNO brachte 700 Menschen aus Ostbosnien in Sicherheit/ Evakuierungen per Hubschrauber sollen nur im Einverständnis mit Serben begonnen werden/ Weitere Angriffe  ■ Aus Zenica Erich Rathfelder

Endlich konnten 700 Menschen der Hölle von Srebrenica in Ostbosnien entfliehen. In den leeren Lastwagen der UNO Hilfsorganisation UNHCR, die Srebrenica nach langen Tagen des Wartens am Freitag mit Hilfslieferungen erreichten, wurden über 100 Verletzte, Frauen und Kinder von dem Oberkommandierenden der UNO-Truppen in Bosnien-Herzegowina, Morillon, persönlich durch die serbischen Sperren geschleust.

Unterdessen gingen die Angriffe der bosnisch-serbischen Armee auf Srebrenica weiter. Und mit Artillerieangriffen auf Sarajevo, die seit Freitag verstärkt wurden und auch gestern die Hauptstadt des Landes schwer trafen, zeigt sich die ungebrochene Angriffslust der serbischen Einheiten. Mit dem Beginn der Offensive gegenüber den Enklaven wurden die bosnisch-serbischen Truppen nach und nach um 25.000 Mann und entsprechendes Material aus Serbien selbst verstärkt.

Die UNO-Aktion in Srebrenica schließt somit keineswegs eine Beruhigung der Kampftätigkeit ein, wie dies eigentlich zu vermuten wäre. Sie zeigt nur auf, daß die serbische Seite sich partiell zwar einem starken internationalen Druck beugt, jedoch weiterhin unbeeindruckt von diesem Druck die großen Linien ihrer militärischen und politischen Ziele verfolgt. „Lebensmittel den Hungernden zu bringen, ist sicherlich eine positive Tat, doch drängt sich für mich der Eindruck auf, als wollten die Vereinten Nationen den Menschen in Srebrenica noch etwas Gnadenbrot bringen, bevor sie ermordet werden“, schätzt eine Mitarbeiterin der unabhängigen bosnischen Wochenzeitzung Slobodna Bosna die Aktion der UNO ein. Die Nachricht jedoch, Serbenführer Karadzič habe den Unterhändlern Owen und Vance in New York versprochen, die Evakuierung der Schwerverletzten aus Srebrenica durch Hubschrauber der UNO zuzulassen, läßt auch bei ihr wieder etwas Hoffnung aufblitzen: „Vielleicht wird jetzt doch ernsthafter geredet?“

Schon seit Tagen beobachten die Bosnier mit Erstaunen das Vorgehen des französischen Generals Morillon. Dieser hatte wirklich etwas gut zu machen. Seine nach der Einnahme von Cerska durch serbische Verbände gemachte Äußerung, daß es während der Eroberung keine Opfer von Verbrechen gegeben habe, hatte die Öffentlichkeit schockiert. Mit seiner Anwesenheit in Srebrenica jedoch, mit den zähen Verhandlungen, die er im Rahmen des UNO-Mandats mit der serbischen Seite geführt hat, ist es ihm gelungen, verlorenen Respekt zurückzugewinnen. Denn ohne seine Anwesenheit wäre Srebrenica wohl schon gefallen. Und gerade der Umstand, daß es sich um einen französischen General handelt, obwohl die französische Politik seit Beginn des Krieges als proserbisch empfunden wird, hat psychologische Auswirkungen. Denn wenn Frankreich nicht mehr die Schritte zu einem schärferen Vorgehen blockiere, so sind sich viele Repräsentanten der politischen Organisationen im „Freien Bosnien“ einig, könnte die internationale Haltung sich doch noch zugunsten Bosniens wenden.

Davon jedoch wollen die UNO- Repräsentanten in Bosnien nichts wissen. Die Offiziere der britischen UNPROFOR-Truppen auf dem Flugplatz von Tuzla ließen vor einigen Tagen keinen Zweifel an ihrer strikten Neutralität aufkommen. Die Vorarbeiten für eine Evakuierungsaktion durch Hubschrauber seien zwar abgeschlossen, hieß es. Jederzeit könnten auch andere Flugzeuge, bis hin zum Jumbojet, auf dem Flughafen landen. Doch müsse beachtet werden, daß dieser traditionell vom Militär genutzte Flughafen im Bereich der weitreichenden serbischen Artillerie liegt, die erst am letzten Mittwoch bewies, daß sie in der Lage ist, den Flughafen und die Stadt Tuzla selbst zu beschießen. „Die Zustimmung der serbischen Seite für eine solche Aktion ist unerläßlich.“ Jedes Risiko für die Blauhelme sei zu vermeiden. Nach Hinweisen aus Quellen der internationalen Hilfsorganisationen, die über die Demarkationslinien pendeln, ist es selbst bei einer Zustimmung von Karadzič keineswegs sicher, daß sich die serbischen Truppen vor Ort auch an diese Absprachen halten. Die Schwerverletzten aus Srebrenica zu retten, sei keinesfalls ohne Risiken durchzuführen.

So bleibt die Frage, was passieren würde, wenn einer der UNO- Hubschrauber, die nach Srebenica fliegen sollen, abgeschossen würde. Die Schüsse auf das deutsche Transportflugzeug Anfang Februar in Karlovač hatte nicht einmal lahme Proteste zur Folge. „Um diese Frage zu beantworten, müßten Sie schon in New York anfragen“, erklärte ein Offizier der UNPROFOR in Tuzla. Nur in New York könnte über entsprechende Gegenmaßnahmen entschieden werden. Wenn heute der Sicherheitsrat der UNO über Bosnien diskutiert, wird diese Frage im Vordergrund stehen. Nach dem Stand der Vorbereitungen jedoch scheinen die Weichen für eine Evakuierungsaktion nun ernsthaft gestellt.

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