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Wie vergewaltigt ist nötig?

■ Bosnische Flüchtlings-Frauen brauchen Attest / In Bremen ist schon alles vorbereitet

Wie vergewaltigt ist nötig?

Bosnische Flüchtlings-Frauen brauchen Atteste / In Bremen ist schon alles vorbereitet

Zuerst die gute Nachricht. In nur vier Wochen sind allein in Bremen 40.000 Mark für die mißhandelten und traumatisierten bosnischen Frauen gespendet worden; Frauen aller Parteien und ganz verschiedener Organisationen hatten unter dem Stichwort „Frauen helfen Frauen“ zu humanitärer Hilfe durch Geldspenden aufgerufen. Der erste Teil dieses Geldes ist unterwegs an das Zentrum für Frauen-Kriegsopfer in Zagreb, ein autonomes Frauen- Projekt, das die offiziellen Lager und die vielen wilden Camps betreut, in die sich bosnische Frauen geflüchtet haben. „Das sind zum Teil Scheunen, Fabrikhallen ohne Dächer, in denen die Frauen nicht mal so schlecht und recht versorgt sind wie in den offiziellen Lagern“, erklärte vor der Presse Marieluise Beck, grüne Bürgerschafts-Abgeordnete. Für die wertvollen Bremer Devisen können die Projektfrauen jetzt das Allernötigste einkaufen: Seife, Verbandmittel, Damenbinden, Läusemittel. Außerdem versuchen sie, einen Telefon- Notruf aufzubauen, weil unter der Erfahrung des Krieges die alltägliche Gewaltbereitschaft von Männern gegenüber Frauen drastisch gestiegen sei, auch in Kroation. Bis zu 30.000 Mark will die Bremer Initiative diesem Zentrum zukommen lassen, aber nicht das gesamte Spendenaufkommen: „Der eigentliche, der dramatische Bedarf liegt ja in Bosnien, wo wir derzeit nicht hinkommen“, erinnerte Beck. Erste Kontakte werden gerade aufgebaut nach Tuzla in Bosnien, wo Tübinger ÄrztInnen ein medizinisches psychosoziales Zentrum für Frauen einrichten wollen. Allein in Tuzla, abgeschnitten von der Außenwelt, leben inzwischen 80.000 bosnische Flüchtlinge.

Nun die schlechte Nachricht, die auch mit einer guten anfängt. Nach kontroversen Debatten hatte ja der Bremer Senat beschlossen, 98 Flüchtlinge, vor allem 30 Frauen mit ihren Angehörigen, sofort aufzunehmen. Beck: „Wir haben aus Zagreb Namenslisten mit mißhandelten, traumatisierten Frauen, die nur den Wunsch haben, da raus zu kommen, bis alles vorbei ist.“

Das Paradox: Bremen will zusätzlich Flüchtlinge aufnehmen. Ein Makler hat kostenlos drei Wohnungen zur Verfügung gestellt. Der ASB in Bremen-Nord hat alle Unterkünfte für 98 Menschen organisiert. Es gibt inzwischen ein richtiges Betreuungsnetz von Frauen, die sich in Bremen-Nord wöchentlich treffen und Patenschaften übernehmen, den Flüchtlingen in Alltagsfragen behilflich sind, neue Ideen entwickeln wie Kinder-Projekte oder Familien-Einladungen.

Aber: Da könnte ja jede kommen. Was ist im Sinne der Ämter eine mißhandelte, vergewaltigte Frau? Ohne ärztliches Attest kein Sichtvermerk, ohne den keine Ausreise, fand der Bundesinnenminister, denn schließlich müsse gewährleistet sein, „daß im Einzelfall die Kriterien erfüllt sind“. Zu allem Überfluß behauptet auch die deutsche Botschaft in Zagreb, daß die Flüchtlings-Frauen in Kroatien „gut versorgt“ seien.

„Unsre Informationen sind aber völlig anders“, hält Beck dagegen, „die kroatische Armee geht derzeit mit Hunden in die Lager, zwangsrekrutiert auch die bosnischen Männer für eine Rückeroberung der Gebiete, löst die Lager auf. Die Frauen werden nach diesen 20 Tagen nicht mehr zu finden sein.“

Almuth Stoess, beim ASB für die Betreuung der Flüchtlinge zuständig, kritisiert die Haltung des Innenministeriums: „Bei den Cap- Anamur-Flüchtlingen kann ich mich nicht an Atteste erinnern! Wenn hier vergewaltigte Frauen aufgenommen werden, fürchtet man wohl Folgen für das Asylrecht oder für die Anerkennung von Mißbrauch als Kriegsfolge.“

Die Wirklichkeit ist ohnehin noch komplizierter. Von einer vergewaltigten moslemischen Frau den Gang zum Amtsarzt und ein Attest zu verlangen, das heißt, diese Flüchtlinge de facto nicht unterbringen zu wollen, erklärt Beck. Und Almuth Stoess ergänzt: „Ob eine Frau selbst vergewaltigt wurde, oder ob sie zusehen mußte, wie ihre Schwester abgeholt, wie ihre Töchter mißbraucht wurden — das ist schrecklich und traumatisierend. Diese Frauen sind stark gestört, orientierungslos und brauchen für eine Zeit eine Schutzzone, einen Ort der Ruhe.“

In einem Brief an den Bundesaußenminister hat Marieluise Beck Klaus Kinkel (FDP) aufgefordert, dafür zu sorgen, daß an das Kontingent für mißhandelte Frauen keine Bedingungen geknüpft werden. S.P.

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