Kurdisches Neujahrsfest als Testfall

Die türkischen Sicherheitskräfte hielten sich auffallend zurück/ PKK-Chef Özalan begrüßte den ruhigen Verlauf von Newroz/ Türkisch-kurdische Dachorganisation?  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Über 400 Festnahmen und ein zu Tode getretener Mann bei einer Demonstration in der südlichen Stadt Adana sind die Bilanz des kurdischen Neujahrsfestes Newroz in der Türkei. Doch angesichts des befürchteten Blutbades und den über 60 Toten im vergangenen Jahr verliert diese Bilanz ihren politischen Schrecken.

Der von dem Führer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, vergangene Woche angekündigte Waffenstillstand hat bereits eine erste Wirkung gezeigt. Doch auch seitens des türkischen Staates war man darauf bedacht, Blutvergießen möglichst zu vermeiden.

Noch vor einem Jahr waren Sympathiebekundungen für die kurdische PKK-Guerilla ein Grund für das türkische Militär und die Polizei gewesen, in unbewaffnete Demonstrantengruppen hineinzuschießen. In diesem Jahr riefen erneut Zehntausende kurdische DemonstrantInnen „Es lebe unser Führer Apo (Öcalan)“ – und die Sicherheitskräfte schauten zu. „Die Besonnenheit siegte“ titelt die Tageszeitung Cumhuriyet in ihrer gestrigen Ausgabe. In der Türkei wurde Newroz als Testfall dafür angesehen, ob eine politische Annäherung zwischen den kämpfenden Parteien in Türkisch-Kurdistan nach der politischen Wende des PKK-Führers möglich ist. Die Mehrheit der türkischen Kommentatoren bejahte gestern nach dem relativ ruhig verlaufenen Newrozfest diese Frage. „Die PKK hat auf Apo gehört. Der Waffenstillstand ist eingehalten worden“, so der Titel des Massenblattes Hürriyet.

Der Verlauf von Newroz zeigte jedoch auch, wie stark der politische Einfluß der PKK, die 1984 den bewaffneten Kampf aufnahm, in Türkisch-Kurdistan ist. „Gewalt ist nicht unser Selbstzweck. Wir hören auf die Worte unseres Vorsitzenden. Doch wenn nötig, greifen wir wieder zu den Waffen“, sprachen vermummte kurdische Jugendliche, die Newroz feierten, in türkische Fernsehkameras. Die Etablierung der PKK als politische Kraft wird in der Türkei kaum noch bestritten. „Der von dem Staat als Terroristenchef bezeichnete Apo verkündet einen Waffenstillstand und bestimmt den Lauf der Ereignisse in der Türkei“, lautete die Schlagzeile der Zeitung Milliyet nicht ohne einen ärgerlichen Unterton.

Schon melden sich in Zeitungen türkische Abgeordnete zu Wort, die eine Generalamnestie fordern, um den Weg zu einer friedlichen, politischen Lösung der Kurdenfrage zu erleichtern. Selbst Innenminister Ismet Sezgin, ein Falke in der Kurdistanpolitik („Mit Räuberbanden verhandelt man nicht.“) wird in den Bann der politischen Vorgaben Öcalans gezogen.

Er gestand ein, daß die neue Strategie der PKK Einfluß auf Newroz hatte. Man wolle zunächst einmal bis zum 15. April abwarten, dem Tag also, an dem der einseitige Waffenstillstand der PKK endet. „Sie sollen ihre Aufrichtigkeit unter Beweis stellen, damit wir dementsprechend die Situation neu beurteilen,“ sagte Sezgin.

Die türkische Regierung lehnt zwar jegliche Verhandlungen mit der PKK ab, aber gibt zu erkennen, daß sie zu Konzessionen in der kurdischen Frage bereit ist, falls ein endgültiges Ende des bewaffneten Kampfes in Aussicht gestellt wird.

Auch Guerillaführer Öcalan zeigte sich erfreut über den Verlauf von Newroz. Er habe den Eindruck, daß die Regierung abwarte, sagte er in einem Interview mit der Zeitung Milliyet. Es gäbe indirekte Hinweise auf eine vorsichtige Wandlung in der Regierung. Die Ankündigung der PKK, künftig nur noch mit politischen Mitteln für die kurdische Sache zu kämpfen, demonstriert auch das Protokoll, das die PKK mit der Sozialistischen Partei Kurdistans abgeschlossen hat.

Der einst von der PKK verfemte Chef der Sozialistischen Partei, Kemal Burkay, traf sich letzte Woche mit Öcalan in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Eine breite Front aller (türkisch-) kurdischen Organisationen, der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO vergleichbar, soll mit demokratischen Forderungen der Repressionspolitik des Staates entgegentreten.

Zu diesen Forderungen zählen die Aufhebung des Ausnahmezustandes in den kurdischen Provinzen, eine Verfassung, die die Existenz der kurdischen Nation anerkennt, eine Generalamnestie, das Recht auf legale politische Organisierung und die Aufhebung der Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur.