: Grüne gegen Frieden durch Militär
Grüner Länderrat lehnt „humanitäre Interventionen“ im ehemaligen Jugoslawien ab/ Breite Zustimmung für gewaltfreie Friedenspolitik/ Realos scheuen Debatte ■ Aus Hannover Matthias Geis
Gibt es den legitimen Einsatz physischer Zwangsmittel gegen Rechtsbrecher? Auch im internationalen Rahmen? Die Grünen meinen – unter Umständen – ja: „Unter den Bedingungen einer durchgesetzten Weltfriedensordnung würden auch wir Grüne uns nicht grundsätzlich Vorstellungen verschließen, daß eine internationale Polizeigewalt gegenüber Rechtsbrechern Formen eines unmittelbaren physischen Zwanges anwenden könnte, die eindeutig und ohne Eskalationsrisiko unterhalb der Schwelle militärischer Aktionen bleiben.“
Diesen und ähnliche Sätze einer „friedenspolitischen Grundsatzresolution“ verabschiedete am vergangenen Sonntag in Hannover mit überwältigender Mehrheit der Grüne Länderrat. Wenn aber – so die Frage der Hamburger Grünen Sabine Boehlich – selbst eine realisierte Friedensordnung ohne Zwangsmittel nicht auskommen wird, „wieviel militärisches Druckpotential braucht dann eine noch nicht durchgesetzte Weltfriedensordnung?“ Die Frage zielte auf Jugoslawien – einziges Thema der Veranstaltung.
Nein, alle Versuche, das grüne Entscheidungsgremium davon zu überzeugen, daß die Hilfe für die bosnische Bevölkerung am mangelnden Willen scheitert, sie notfalls auch gewaltsam durchzusetzen, blieben in Hannover chancenlos. Der von Vera Wollenberger, dem Europaabgeordneten Graefe zu Baringdorf und dem Bremer Senator Ralf Füchs eingebrachte Antrag, der „humanitäre Interventionen“ in Bosnien forderte, erhielt am Ende ganze drei Stimmen. Zwar sind die im Antrag enthaltenen Forderungen – humanitäre Hilfe, Auflösung der Lager und wirksamer Schutz für die Zivilbevölkerung – auch bei den Grünen nicht strittig. Doch weil die Partei zur „Relegitimierung militärischer Gewalt“ nicht beitragen will, blieb die Frage nach der Durchsetzung weiter offen. Verworfen wurden auch die Überlegungen von Achim Schmillen, der für eine aktive Außenpolitik der Einmischung im Interesse der Menschenrechte plädierte. „Du kommst doch von einer Menschenrechtsdebatte in die andere“, warnte die NRW-Delegierte Bärbel Höhn.
Doch abgesehen von einigen verbalen Ausrutschern blieb die innerparteilich hochbrisante Debatte überraschend sachlich. Ein Grund hierfür war wohl, daß die „antimilitaristische“ Mehrheit in Hannover von Anfang an feststand. Zwar hatte Joschka Fischer, zwei Wochen zuvor in Frankfurt, die Debatte mit dem Argument vertagt, man brauche mehr Zeit und Ruhe. Doch an der Hannoveraner Positionsbestimmung in dieser „für die Grünen existentiellen Frage“ (Fischer), wollte sich der informelle Parteichef wie all die anderen exponierten Realpolitiker dann doch nicht beteiligen. Auch die prominenten Vertreter einer humanitären Intervention aus dem Bündnis 90 trugen durch Abwesenheit zur Deeskalation bei.
In aller Ruhe formierte sich, begründet von Frieder O. Wolf, der friedenspolitische Konsens: Der Weg zu einer Weltfriedensordnung braucht konfliktpräventives, ziviles Handeln. Nicht eine Politik der Einmischung, sondern eine „Außenpolitik der Selbstbeschränkung“ sei jetzt auf der Tagesordnung. Eine „Militarisierung der Außenpolitik“, eine „Großmachtpolitik nach Hausherrenart“, lehnen die Grünen ab. Damit, so Wolf, befinden sich die Grünen in der Defensive. „Denn es gibt nicht ein Defizit an Gewaltbereitschaft, sondern ein Defizit an Zivilisierung.“
Die Fülle internationaler Konflikte, die Unübersichtlichkeit des Bürgerkrieges in Jugoslawien, die prinzipielle Untauglichkeit militärischer Mittel für politische Lösungen, das Eskalationsrisiko – alle Argumente für die internationale Passivität hatten auch in Hannover Konjunktur. Immerhin blieb es nicht nur bei prinzipiellen Beteuerungen grüner Gewaltfreiheit. Parteisprecher Ludger Volmer beispielsweise überraschte mit klaren Sätzen: „Aggressor sind die Serben“ und „Es gibt keinen moralischen Hinderungsgrund, im ehemaligen Jugoslawien militärisch einzugreifen.“ Doch, die „coole strategische Überlegung“, die „Gefahr eines totalen Landkrieges“ ließen Volmer dann doch zurückschrecken.
Das Eskalationsrisiko „humanitärer Interventionen“ wurde auch von den Befürwortern nicht unterschlagen. Doch, so Graefe zu Baringdorf, „die Frage der Eskalation liegt bei denen, die die humanitären Aktionen gegen die Moral der Weltöffentlichkeit gewaltsam unterbinden wollen.“ Er argumentierte mit der Abschreckungswirkung, die von der Entschlossenheit einer militärischen Durchsetzung ausgehen werde.
Einen Moment lang schien es in Hannover, als wolle der ehemalige Parteisprecher Christian Ströbele den Interventionsbefürwortern beispringen. Er verband sein Plädoyer für die Legitimität militärischen Widerstandes bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen mit dem Vorschlag einer „polizeilichen Intervention unter dem Mandat der UNO“ und ohne Beteiligung von Großmächten oder Staaten mit spezifischen Eigeninteressen in der Region. Doch zu einem Antrag wollte sich Ströbele (noch) nicht durchringen.
So fand am Ende doch nur die von Helmut Lippelt formulierte „unabweisbare moralische Forderung“ Aufnahme, daß den Menschen, „die von mörderischen Banden dem Verhungern überantwortet werden, Lebensmitteltransporte durchgebracht werden müssen“. Gestrichen wurde der Zusatz: „notfalls mit militärischer Bedeckung“.
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