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Verantwortlich sind nur die anderen

■ Trotz Mithilfe des ehemaligen Flick-Managers von Brauchitsch gelang es dem Zehlendorfer CDU-Nachwuchs nicht, Ursachen der Politikverdrossenheit zu finden

Berlin. Ein guter Redner, so sagen die Rhetoriklehrer, verleiht seinem Vortrag dadurch zusätzlichen Glanz, daß er ihm von Zeit zu Zeit ein kluges Zitat untermischt. Den Diskutanten, welche sich am Montag abend auf Einladung der örtlichen Jungen Union im Rathaus Zehlendorf versammelt haben, um über die Ursachen und Auswirkungen der Politikverdrossenheit zu debattieren, ist die Regel wohlbekannt, und rege machen sie von von ihr Gebrauch. Marianne Birthler zum Beispiel, die vor knapp einem Jahr als brandenburgische Bildungsministerin zurückgetreten war, weil sie sich nicht mehr hinter ihren wegen der Stasi- Kontakte ins Gerede geratenen Ministerpräsidenten Stolpe stellen mochte. Zwar sei sie keine Sauberfrau, sondern mache Fehler wie jeder andere auch, allerdings fühle sie sich doch einem Wort Eugen Drevermanns verpflichtet: „Wahrheit nützt auf Dauer, auch wenn sie im Moment schadet, die Lüge schadet auf Dauer, auch wenn sie im Moment nützt.“

Oder Uwe Lehmann-Brauns, CDU-Mann im Berliner Abgeordnetenhaus. Ein Übel sei, daß alle Blitzkarriere machen wollten in der Politik, statt wie er – und er bemüht eine Volksweisheit – „Schritt für Schritt voranzukommen, mit Geduld und Spucke“. Ferner zugegen ist der Gymnasiast Philipp Franck, der Auskunft darüber geben soll, wie verdrossen die Schüler sind. Leider bringt er vor lauter Nervosität die Zähne nicht auseinander, weshalb seine Worte kaum die Zuhörer erreichen, noch nicht mal das, was er von Hoimar von Ditfurth zitiert.

Komplettiert wird die Runde vom ehemaligen Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch, der klarstellt, daß die Parteispendenaffäre Anfang der Achtziger nicht zum Verdruß beigetragen hat, alle Angeklagten seien schließlich vom Vorwurf der Bestechung bzw. Bestechlichkeit freigesprochen worden. Daß die Journalisten ihn noch immer als Verbrecher, als rücksichtslosen Egoisten bezeichnen, sei – da kann er sich nur immer wieder selbst zitieren – „völlig ungerechtfertigt, aber kennzeichnend für diesen Berufsstand“.

Womit klar ist, worum es an diesem Abend vor allem geht, nämlich darum, sich selbst reinzuwaschen und den anderen die Verantwortung dafür zuzuschieben, daß das Ansehen der Politiker beständig gegen Null tendiert. Uwe Lehmann-Brauns zum Beispiel: Okay, für einige Skandale in der Republik sei die CDU verantwortlich, keine Frage, aber was seien die im Vergleich mit den Verfehlungen der Linken.

Manfred Stolpe etwa, „dieser Wendehals, der nicht verlangen kann, daß ihm jemand noch mal vertraut“. Oder die PDS: verkaufen sich als neue Partei, obwohl sie sich doch in nichts von der SED unterscheiden, in gar nichts.

Und Eberhard von Brauchitsch sagt, daß ein besorgter Landesvater sehr wohl Werbung machen dürfe für die Produkte seines Landes, daß er sich mit den Industriellen seines Landes gut verstehen müsse, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Daß die Zeitungen sofort von Bestechung schreien, sei Panikmache, „damit erzeugt man Verdruß“.

Einzig Marianne Birthler hält sich ans vorgegebene Thema, vermeidet die von Lehmann-Brauns provozierte Diskussion über Stolpe und macht sich statt dessen Gedanken über die Frage, warum sich Menschen, die Politik machen, im Laufe der Jahre oft negativ verändern, warum sie ihre Ideale aufgeben und zu Vertretern der eigenen Interessen verkommen. Macht sich Gedanken darüber, warum es so viele stromlinienförmige Abgeordnete gibt und sowenig Querdenker, mit denen man sich identifizieren kann, „Leute wie Geißler, Norbert Gansel oder bei uns Konrad Weiß“.

Antworten allerdings findet auch sie nicht, und so sitzen sie sich schließlich gegenüber, Diskutanten und politikverdrossene Bürger, und manchem wird das passende Schlußzitat des Frankurter Literaturpapstes in den Sinn gekommen sein: „Das Spiel ist aus, wir stehn betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Holger Gertz

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