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Die letzte Sechs

Die Volleyballerinnen des SC Schwerin konnten dank der Nachwuchsarbeit der Vergangenheit als einziges Ost-Team ihre Leistungsstärke halten  ■ Von Holger Gertz

Berlin (taz) – Manchmal, wenn Gerhard Fidelak an die alten Zeiten zurückdenkt, wird er schon ein bißchen sentimental und wünscht sich, es hätte sich „nicht ganz so schnell ganz so viel verändert“. Nicht, daß er das politische System der DDR zurückhaben wollte, „um Gottes Willen“, aber den Sport, den sähe er gern noch immer so organisiert wie im Staat der Arbeiter und Bauern. Wie damals, als der SC Schwerin noch Traktor Schwerin hieß, als Trainer Fidelak sein Frauenteam zweimal am Tag zum Üben um sich scharen konnte, als es nur Volleyball gab für ihn und die Spielerinnen, Volleyball und nochmals Volleyball und jede Menge Erfolge.

Die größten 1975 und 1978: zuerst gewannen sie den Europapokal der Pokalsieger, danach den der Landesmeister. Dreimal waren die Schwerinerinnen das beste Team der DDR, immer angeleitet von Gerhard Fidelak, der seit 1964 Hunderten mecklenburgischer Jugendlicher das fachgerechte Pritschen und Baggern beigebracht hat und dem die Führung des Staates dafür dankte. Linientreu sei er gewesen, sagt er, und er sieht keinen Grund, sich dafür nachträglich zu entschuldigen: „Zumindest im Sport hat unser System doch funktioniert.“

Nach der Wende sah es kurz so aus, als sollte nichts bleiben von der Herrlichkeit. Nicht nur, daß sich die Spielerinnen fortan auch um ihre Berufsausbildung kümmern mußten und daß das Training reduziert wurde auf eine Einheit am Tag, abends nach Dienstschluß. Auch kamen von überallher die Talentsucher, um die jungen Frauen aus dem Osten zu locken mit der Aussicht auf Geld, Erfolg, eine bessere Zukunft. Einige mußte Fidelak ziehen lassen, zum Beispiel zum Ligakonkurrenten Alstertal-Harksheide, „wo doch fast zwei Drittel aus Schwerin kommen“. Viele aber entschieden sich, zu bleiben. Die älteren, wie Ute Steppin oder Dörte Techel, weil sie eine Familie gegründet hatten, ein Eigenheim bauen wollen oder Fuß fassen im Erwerbsleben.

Aber auch aufstrebende Talente widersetzen sich standhaft dem Liebeswerben finanzkräftiger Westclubs. Sylvia Roll zum Beispiel, 19jährige Angreiferin. Spätestens, seitdem sie Anfang des Jahres ein jubelumtostes Debut in der Nationalauswahl gegeben hat, zählt sie zu den begehrtesten Spielerinnen des Landes. Klar rufen die Manager bei ihr an, sagt sie, klar könnte sie anderswo mehr verdienen als in Schwerin, wo die Aufwandsentschädigungen vergleichsweise mager sind. Wechseln will sie trotzdem nicht. Zur Restaurantfachfrau wird sie in Schwerin ausgebildet, die Eltern leben hier, die Freunde. Mit acht Jahren hat sie hier angefangen mit Volleyball, hat die Kinder- und Jugendsportschule besucht, ehe sie in die erste Mannschaft aufrückte. Volleyball und Schwerin, dieses Begriffspaar gehört für sie zusammen: „Anderswo würde ich mich nicht wohlfühlen, und dann ginge es auch mit der Leistung bergab.“

Natürlich gehen Fidelak solche Treueschwüre runter wie Honig. Auch bei Christina Schultz ging ihm das so, die mit 23 Jahren schon zum Stamminventar der Nationalauswahl zählt. Vor zwei Jahren war sie fast schon zum USC Münster gewechselt, als sie sich schließlich doch zum Bleiben in Schwerin entschloß. Fidelak, barmten die Münsteraner, habe wohl mit ordentlichem Druck beigetragen zum Meinungsumschwung, was den Trainer noch immer zornig macht. Wie, fragt er, hätte er denn bitteschön aussehen sollen, dieser Druck? Mit Gold überschüttet hätten sie Christina Schultz nicht, und keiner hätte ihr verbieten können zu gehen. Nein, sagt Fidelak, es passe einfach nicht in die westliche Denkweise hinein, daß eine auf Reichtum verzichte und statt dessen da bleibe, wo sie sich wohl fühlt. Und daß sich eine mit Mecklenburg-Vorpommern identifiziere, in Zeiten, „wo es doch für kaum einen mehr eine Ehre“ sei, für seine Heimat zu spielen.

Immerhin hat die Mannschaft so ihre Spielstärke erhalten. Nachdem vor der Saison die Russinnen Elena Volkova (1,90 m) und Nadega Borodichuk (1,82 m) verpflichtet wurden, verfügt der SC Schwerin über einen wahrhaft respekteinflößenden Block. Wenn die Russinnen im Verbund mit den ebenfalls großgewachsenen Ute Steppin oder Christina Schultz hinter dem Netz emporsteigen, ergibt das eine kaum zu überwindende lebende Wand. Lange Zeit sah es deshalb so aus, als strebten die Schwerinerinnen – als einziges Ost-Team im deutschen Sport – dem Gewinn des Titels entgegen. Doch weil Fidelak wenig gleichwertige Kräfte auf der Bank hat, die erste Sechs fast die gesamte Saison durchspielen mußte, stellten sich in den letzten Wochen Verschleißerscheinungen ein. Das Pokalfinale haben sie verloren gegen Münster, in die Meisterschafts- Playoffs, die am nächsten Mittwoch beginnen, geht das Fidelak- Team nicht als Favorit: „Wenn wir Dritter werden am Ende, wäre ich damit zufrieden.“

Gedanklich befaßt sich der Coach längst mit der Zeit nach dieser Saison. Er wird, das steht fest, dem SC Schwerin noch lange erhalten bleiben, den er übrigens nichts kostet. Beim Deutschen Volleyballverband steht Fidelak auf der Gehaltsliste, als Bundeshonorartrainer, zuständig für den Volleyballstützpunkt Schwerin. Dort wird er schon seines Sohnes wegen bleiben. Für den geistig behinderten Jungen haben die Fidelaks endlich eine Einrichtung gefunden, in der er optimal betreut wird. Und solo wird Fidelak den Wohnort auch nicht wechseln. Seine Frau, sagt er, will er nicht allein lassen mit den Sorgen um den Sohn, und außerdem fehle ihm „mit 49 Jahren auch der Mut“, irgendwo noch mal etwas Neues aufzubauen.

Aber auch in Schwerin wird er das bald tun müssen. Nur begrenzte Zeit noch werden die Schwerinerinnen von der Vergangenheit zehren können. An die Zeit danach mag Fidelak nicht denken, die Jugendarbeit sei praktisch gestorben nach der Wende. Früher haben sie ganz Mecklenburg nach begabtem Volleyball- Nachwuchs durchkämmt und die Talentiertesten dann in die Schweriner Kinder- und Jugendsportschule delegiert, wo sie von sieben ausgebildeten Trainern gebimst wurden. Heute ist nur noch Fidelak da, unterstützt von zwei nebenamtlichen Sportlehrern. Die Jugendsportschule ist zu einem herkömmlichen Gymnasium umfunktioniert worden, die Trainingshallen stehen leer oder werden nur noch für den Schulsport genutzt. Aber so sei das halt, sagt Gerhard Fidelak, wenn sich die Verhältnisse änderten, bleibe nichts, wie es war: „Auch das nicht, was früher besser gewesen ist als heute.“

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