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Die Regierung verklagt die Regierung

Die Klage der FDP gegen die eigene Regierung: Eine Idee aus Angst vor dem Bruch der Koalition/ Streit um Awacs-Überwachung über dem Balkan sorgt für Kapriolen  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Einen Trost konnte der FDP- Außenminister und Vizekanzler Klaus Kinkel gestern bieten. Den von der SPD so genannten „Aprilscherz“, daß nun der Vizekanzler gegen den Kanzler klage, den werde es nicht geben, beteuerte Kinkel. Er sei ja nicht Mitglied der FDP-Fraktion und könne allein deshalb die Klageschrift nicht mit unterschreiben.

Ein schwacher Trost. Roman Herzog, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hatte schon 1984 vorausgesehen, was eines Tages auf ihn zukommen würde. Es möge zwar „pathologisch erscheinen“, wenn eine Regierung sich selbst verklagt, schrieb Herzog damals in einem Kommentar zum Grundgesetz. Es sei aber eine solche Situation denkbar, wenn „die Koalitionspartner zur Beilegung des Streites nicht imstande sind, aber gleichzeitig den Bruch der Koalition nicht riskieren wollen“.

Herzog hatte alles geahnt. „Kracht die Koalition auseinander?“ Unter diesem Vorzeichen, so sagte es gestern ein Eingeweihter, standen schon die Diskussionen, als die FDP-Minister im Kabinett Kohl am Dienstag und Mittwoch in mehreren Treffen eine Lösung im Streit um die Awacs-Flugzeuge suchten und schließlich auf die Idee verfielen, die eine Freidemokratin in der Fraktion dann so kommentierte: Wenn alles in Karlsruhe entschieden werde, dann „können wir uns das Parlament gleich sparen“.

Wie ernsthaft die Regierungskoalition am Mittwoch auf der Kippe gestanden haben muß, deutete Kinkel gestern nur an. „Ersparen Sie mir die Antwort“, bog er die Frage ab. Die Stimmung in beiden Fraktionen sei nun mal „sehr festgefahren“, ergänzte der Außenminister noch und wies damit indirekt auf die starre Haltung der Unionsabgeordneten hin. Notfalls müsse der Kanzler die FDP-Minister im Kabinett auch gegen deren Protest überstimmen lassen, hatte CDU-Generalsekretär Peter Hintze gefordert und damit die Stimmung vieler Unionisten getroffen, die derzeit so in Selbstzweifeln befangen sind, daß sie zu Kompromissen kaum noch in der Lage scheinen.

Hysterie zwar, aber die Freidemokraten ließen sich davon anstecken. Nur eine Minderheit in der Fraktion plädierte dafür, es auf den Streit ankommen zu lassen. Die Christdemokraten würden schon nicht „so dämlich sein und die Koalition an diesem Punkt platzen lassen“, argumentierten die Kritiker. Denn eigentlich, darauf wies gestern auch Kinkel hin, wäre ein Bruch der Koalition schlicht „unsinnig gewesen“. Mit einem anderen Partner als der FDP hätten CDU und CSU erst recht keine Einigkeit über Militäreinsätze herstellen können.

Die Mehrheit der Liberalen glaubte dennoch, die Union könnte so dämlich sein — und die FDP hätte dann den Schwarzen Peter. Es sei nun mal schlecht „zu verkaufen“, hieß es, wenn die FDP wegen einer Sache aus der Regierung ausziehe, die sie eigentlich gutheiße und nur aus verfassungsrechtlichen Gründen noch nicht billigen könne. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Werner Hoyer startete gestern noch einmal einen Erklärungsversuch fürs Volk. Wenn die deutschen Soldaten in den Awacs-Maschinen den alliierten Jagdflugzeugen über Bosnien den Befehl zum Feuern erteilen würden, wäre das nach dem Krieg die erste deutsche Kampfhandlung gegen ein anderes Land. „Der Rubikon“, so Hoyer, „wäre überschritten.“

Wann dieser Rubikon nun tatsächlich überschritten wird, ist mit der Entscheidung von Mittwoch abend allerdings nicht unbedingt klarer geworden. Hat die FDP mit ihrer Klage Erfolg, bleibt es dabei, daß deutsche Soldaten außerhalb des Nato-Gebietes nicht kämpfen dürfen. Immerhin, so Hoyer, wachse dann der Druck auf die CDU, sich zu Kompromissen mit der SPD herbeizulassen. Manche Freidemokraten, darunter wohl auch Kinkel, wären gar nicht so unglücklich, wenn das Verfassungsgericht die Klage der FDP verwerfen und der Regierung damit freie Hand für Militäreinsätze geben sollte. Dann, so der FDP-Außenpolitiker Ulrich Irmer, wäre die „Handlungsfähigkeit“ wiederhergestellt und „die Grauzone hinter uns“.

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