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Sieg der Erdanziehung

■ Die Berliner Tanzfabrik gastierte mit 'Zerfall der Shcwerkraft– auf Kampnagel

gastierte mit

Zerfall der Schwerkraft auf Kampnagel

Schon beim Eintritt wirkt die Unerbittlichkeit der Schwerkraft: Deutlich hörbar tropft Wasser träge in einen Glaszylinder. Doch die Tänzer Dieter Heitkamp und Kurt Koegel wagen den Kampf gegen die Erdanziehung. Sie bewegen sich langsam, wie Astronauten in der Schwerelosigkeit — fließend, aber auch streitbar, denn immer wieder finden sich Elemente fernöstlicher Kampfsportarten in der Choreographie.

Vor fast genau einem Jahr hatte Zerfall der Schwerkraft Premiere. Vorgestern war das Stück der Berliner Tanzfabrik im Rahmen der 3. Internationalen Tanztheaterwochen erstmals in Hamburg auf Kampnagel zu sehen. Das im Laufe der Entwicklung vom Quartett auf ein Duo reduzierte Stück wurde von den Tänzern selbst entwickelt. Unterstützt wurden sie dabei vom ursprünglich vorgesehenen dritten Mann, Howard Sonnenklar.

Dem Titel des Stücks zum Trotz wird die Schwerkraft jedoch nur für Augenblicke besiegt: Gnadenlos läßt die Erdanziehung jede noch so leicht getanzte Figur schließlich auf dem Boden enden. Unter meditativen Klängen erwachen die beiden Tänzer und füllen den Raum mit magischen und tragischen Bewegungen. Immer wieder durchbrechen sie diese drückende Stimmung mit plötzlichen Energieausbrüchen und humorvollen Passagen, etwa als Marionetten mit gesteppter Marsch-Einlage.

Im zweiten Teil ändert sich die Stimmung. Die Tänzer wenden sich mehr nach außen, beziehen das Bühnenbild mit ein. Es bleibt mehr Platz für freie Improvisationen. Mit Hilfe eines Stabs versucht Dieter Heitkamp, den Boden zu verlassen, scheint für einen Moment frei zu schweben, um dann doch von der Schwerkraft zurückgeholt zu werden. Kurt Koegel verwandelt sich unter einer Kupferwanne in eine Schildkröte. Sie gewinnt ihren Kampf gegen die Erde, läßt den Panzer hinter sich zurück. Beide toben sich wie Kinder an einem Klettergerüst aus.

Die Tanzfabrik untermalte ihre Choreographie durch Spiele mit Licht und Schatten, ergänzend wurde der Hintergrund mit wechselnden Strukturen und Zeichen durch einen Overhead-Projektor beleuchtet. „So ein Apparat wie bei uns in der Schule“, stellt der

1kleine Fußballer in der fünften Reihe fest, der dem ganzen allerdings wenig abgewinnen kann und die zweite Hälfte komplett verschläft. Dabei verpaßt er die zunehmende Athletik auf der Bühne, die die erwachsenen Zuschauer in Atem hält. Nach langem Neben- und Miteinander bilden Heitkamp und Koegel schließlich eine tänzerische Einheit. So sehr sie sich jedoch bemühen, am Ende siegt die Erdanziehung. Abgekämpft und verschwitzt kommen die Tänzer auf den Boden der Tatsachen zurück. Werner Hinzpeter

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