Hoffnungsanker Tourismus

■ In Gambia, das vorwiegend vom Erdnußanbau abhängt, ist der Tourismus eine umstrittene Wachstumsindustrie

Gambia, Afrikas kleinste Demokratie, zeigte beneidenswerten Mut, als es sich auf die Tourismusindustrie einließ und neben den großen Konkurrenten wie Kenia und Thailand in den Hochglanzbroschüren um Aufmerksamkeit warb. Während des jetzigen europäischen Winters werden hunderttausend Touristen erwartet. Das sind 15 Prozent mehr als im letzten Jahr. Seit vor zehn Jahren das Buch „Roots“ des afroamerikanischen Schriftstellers Arthur Hailey das Land als farbige, sonnendurchflutete Urlaubsregion empfahl, scheint sich das Leben kaum verbessert zu haben. Die 800.000 Einwohner – meistens schlecht ausgebildet, arbeitslos oder mit niedrigem Einkommen (Jahresdurchschnitt 760 Dollar), die in Wellblechhütten ohne Elektrizität, Kanalisation oder fließendem Wasser leben, bei einer Kindersterblichkeitsrate von 167 Promille – bekommen kaum was von den touristischen Devisen ab.

Die Straßen, besonders in der verfallenen und reizlosen Hauptstadt Banjul, sind unbefestigte Sand- und Lehmwege, voller Schlaglöcher und gesäumt von offenen, stinkenden Abwässerkanälen. Bistros, Fotoläden, Supermärkte und sogar eine Konditorei haben sich in Banjul niedergelassen. Peugeots, Mercedes und Nissans holpern zwischen Ziegen, Bettlern, Eselskarren und Frauen mit Baby auf dem Rücken und schweren Lasten auf dem Kopf umher. Die Hotels sind attraktiv, ebenerdig gebaut, blumengesäumt, mit hübschen Schwimmbädern und Restaurants. Doch gewöhnlichen Gambiern fällt es schwer, irgendein Indiz von neuem Wohlstand anzugeben. Manche sind verbittert: „Es geht alles aus dem Land, zurück zu den ausländischen Investoren.“ Oder: „Es fließt in die Taschen der Regierung, nicht in die Taschen des Volkes.“ Oder: „Es zerstört unsere Kultur und richtet den Charakter unserer jungen Menschen zugrunde.“ Die Frage ist, ob Gambia – das manchmal den Anschein erweckt, es habe sich auf den Tourismus eher mit Hoffnung und Verzweiflung als mit sorgfältiger Planung und einem Verständnis des Marktes eingelassen – aus seinen ausländischen Besuchern echten Nutzen ziehen kann.

Wer das Geld verdient, ist eine der Schlüsselfragen. John Carlin, Generalmanager des Atlantic-Hotels in Banjul und Vorsitzender des gambischen Hotelverbandes schlüsselt die Devisenverteilung auf: „Von den 700 Pfund (1.240 Dollar), die ein britischer Tourist hier für zwei Wochen Halbpension ausgibt, geht nur ein sehr kleiner Anteil an unsere Aktionäre zurück. Von den 700 Pfund gehen 70 Pfund an das Reisebüro in Großbritannien, das die Reise gebucht hat; 126 Pfund an den Reiseveranstalter, der die Hochglanzbroschüren produziert, die Reiseleiter anstellt, die Betten in den Hotels reserviert und ganz allgemein das Paket schnürt; 180 Pfund für das Billigflugticket. Von den verbleibenden 324 Pfund gehen 7 Pfund als Steuer an die Regierung und 5 Prozent in den Transfer vom Flughafen zum Hotel. Das läßt dem Hotel von jedem Gast etwas über 22 Pfund pro Tag. Davon müssen abgezogen werden die Umsatzsteuer des Hotels an die Regierung (10%), die Personalkosten (15%), die Energiekosten (15%), Ankäufe (Nahrung, Wäsche etc., 20%), Werbung (2,5%), Reparatur und Wartung (6%), Verwaltung und allgemeine Betriebskosten (8%), Miete (15%) – womit etwa 10 Prozent (etwa 2,25 Pfund pro Tourist pro Tag) für den Gewinn der Firma bleiben.“ Die Personalkosten wären zudem überraschend hoch. Zwar seien die Löhne niedrig, dem entspreche aber auch die Produktivität: „Wir brauchen 400 Beschäftigte für das, was in Großbritannien 150 tun könnten.“ Die Treibstoffkosten sind „ungeheuerlich“. Diesel für Generatoren, Petroleum, Benzin – alles wird importiert und ist teuer. „Ausländische Investoren gehen hier ein großes Risiko ein“, sagt Carlin. „Sie haben einen Anspruch darauf, für ihr Risiko einen Gewinn zu erwarten.“ Er bringe praktisch alle Lebensmittel, die von den Gästen verzehrt werden, in Lieferungen über 20.000 Pfund herein. Warum werden keine lokalen Produkte verwendet, in einem Land mit Mangos, Zitrusfrüchten, Fisch, wo Geflügel und Vieh gezüchtet werden kann? – „Ich wollte, das wäre möglich. Es wäre mir nur recht. Aber es funktioniert einfach nicht. Die Mangos fallen massenhaft von den Bäumen – wenn die Saison vorüber und die Touristen fort sind. Die Avocados sind eine kurze Zeit reif, ebenfalls außerhalb der Saison. Es gibt keine Möglichkeiten, Vieh und Geflügel in großem Maßstab zu züchten, keine großen Ranches wie in Kenia, wodurch einheimische Lebensmittel so leicht verfügbar werden. Es ist billiger, Geflügel und Fleisch in Europa zu kaufen und die Frachtkosten und Einfuhrzölle zu zahlen, als am Ort zu kaufen. Und die Subventionen der Europäischen Gemeinschaft für die europäische Landwirtschaft erschweren Afrikanern sogar noch die Konkurrenz.“

Wo also liegt der Nutzen in Gambias Tourismusindustrie? Hunderte Taxifahrer, Kellner und Reinigungspersonal, Andenken- und Postkartenverkäufer, einheimische Fremdenführer, Restaurants und Läden zumindest verschaffen sich ein gewisses Einkommen, das es sonst nicht gäbe.

Großbritanniens Königin Victoria nannte einst die winzige afrikanische Kolonie „jenen hübschen kleinen Ort“, und diese Kleinheit ist sowohl Gambias Reiz als auch sein Nachteil. Es gibt keine riesigen Wildreservate. Safari-Touristen bleiben von vornherein weg. Zur Zeit gibt es 14 große und mittlere Hotels. Neue Hotels werden von der Regierung kaum genehmigt werden. Es gebe einfach keinen Platz dafür, läßt die offizielle Seite verlauten. Präsident Sir Dawda Kairaba Jawara beruft sich dabei auf seine Verantwortung gegenüber der Umwelt. Zudem muß er sich der Anklagen der Ältesten aus dem Lande stellen, die der Tourismusentwicklung anlasten, daß die jungen Menschen aus den Dörfern und der engen Gemeinschaft der Großfamilien an die Küste flüchten, um dort vorwärtszukommen.

„Die Jugendlichen werden angezogen wie Magneten“, sagt ein Sprecher des Tourismus-Ministeriums. „Sie hängen um die Hotels herum und wollen sich mit den Besuchern anfreunden, sie hoffen auf Geld, Kleider, Kugelschreiber oder Jobs als inoffizielle Führer. Manchmal sind sie nur eine harmlose Belästigung, aber zunehmend hören wir auch Berichte von Überfällen und Diebstählen, und das verdirbt unser stolzes Bild als das freundlichste Land Afrikas.“ Das Drogenproblem nimmt zu, und das Familienleben ist gefährdet. Die Prostitution breitet sich aus.

Auch das Land selbst ist in Gefahr. Das hat nur teilweise mit den Touristen zu tun; die Dörfler hauen neugepflanzte Bäume um, weil sie neue Felder anlegen wollen und Feuerholz – noch immer die wichtigste Energiequelle – zum Kochen brauchen. Die Erosion der Küstengegenden ist ein unmittelbares Ergebnis des Baubooms. Dort entstanden nicht nur Hotels, sondern auch neue Wohnhäuser für die wenigen wohlhabenden Gambier und für Ausländer, die beim Tourismus ihren Schnitt machen wollen. Hunderte von Lastwagenladungen Bausand werden jede Woche von den schönsten Stränden geholt. Einige davon sind bereits bedroht. Eine Hochsommerflut riß in einem Hotel einen Teil der Bar fort; bei anderen Hotels kommen die Meereswellen jedes Jahr näher. „Wir können nicht Hotels umsiedeln, die bereits da sind, aber neue Gebäude sollten durch einen mindestens einen Kilometer breiten Streifen von der See getrennt sein, mit Bäumen bepflanzt, um die Erde zu halten. Sonst sind wir zum Untergang verurteilt“, sagt Mass Cham, der führende gambische Ornithologe und Konservator.

Die Einkünfte aus dem Tourismus sollten im Idealfall für Pro

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jekte verwendet werden, die die Umwelt stärken – und für die anderen dringenden Bedürfnisse Gambias, wie Gesundheitspflege, Ausbildung, Hygiene und Straßenbau. „Aber zu viele Leute in der Regierung haben die Profite abgeschöpft“, beklagt ein lokaler Geschäftsmann. „Der Präsident ist ein anständiger Mann, aber manchmal benimmt er sich, als merke er gar nicht, was um ihn herum passiert.“ Erzählungen von Schwindelmanövern, schlechter Verwaltung, Geldverschwendung und Korruption kursieren in den Basaren und werden in den Zeitungen der Opposition breit behandelt. Doch die Schuldigen werden selten öffentlich angeklagt.

Was also ist nötig, damit Gambia kein weiteres Opfer der Tourismusmühle wird? – Mehr ausländische Investitionen, laut Carlin. „Gambia kann sich einen Alleingang einfach nicht leisten“, sagt er. „Es muß versuchen, die Infrastruktur zu verbessern und seine Einkünfte darauf zu verwenden, lokale Bauern und Viehzüchter zu ermutigen, für die Versorgung der Hotels zu arbeiten. Eine Gefriertrocknungsanlage zum Beispiel gäbe den Produzenten von Kleingeflügel die Möglichkeit, ihr Geflügel sicher und wirtschaftlich auf den Markt zu bringen – aber sie können sie sich nicht selbst leisten. Sie brauchen Regierungshilfe.“

Um den Tourismus als wirtschaftliches Standbein auszubauen, müßte die Saison ausgeweitet werden. Die meisten Besucher kommen zwischen Oktober und Mai. Tourismus-Minister Alkalo James Gaye hat eine Reihe europäischer Länder besucht und in den USA Klinken geputzt (besonders bei Afroamerikanern, die das Land ihrer Herkunft besuchen wollen), um die Saison auszuweiten, und seine Bemühungen beginnen sich langsam auszuzahlen. Die Sonne scheint das ganze Jahr, die Sommerregen sind heftig, aber kurz, und gewöhnlich fallen sie nachts, gegen die Luftfeuchtigkeit gibt es Klimaanlagen, geeistes Wasser, saubere Schwimmbäder und die herrlichen Atlantikstrände mit ihren kühlenden Winden

Das Angebot müßte fantasievoller gestaltet werden. „Nicht alle Touristen müssen in pseudoeuropäische Hotels in einer winzigen Küstenregion gequetscht werden“, fordert Mass Cham. „Wir müssen unsere natürlichen, historischen und kulturellen Ressourcen nutzen und Camps und kleine Gästehäuser auf dem Lande eröffnen, wo die Touristen sich in das Leben der Dörfler integrieren können, um ihre Kleidung, Handwerk, Natur und Musik zu studieren, ohne gerade das zu zerstören, was dem Land seinen Reiz verleiht. Auf diese Art werden Besucher etwas über das Land erfahren und sich vielleicht mit direkten Spenden für Schulen, Handwerkszentren, Kliniken und Wildreservate weiter engagieren. Das würde ihnen das Gefühl geben, an der Entwicklung des Landes teilzuhaben.“

Es gibt ermutigende Zeichen. Der winzige chaotische Flughafen erhält ein neues Gesicht. Eine neue Behörde für die Zivilluftfahrt wurde eingesetzt. 19 Flüge pro Woche kommen in der Saison an. Minister Gaye hat die Handwerker aufgefordert, mehr unterschiedliche und ethnisch wertvolle Andenken zu schaffen und ihre harten Verkaufsmethoden zu mäßigen. Flußaufwärts werden Camps eröffnet.

Für die Bettler auf ihren Krücken, die zerlumpten Marktkinder, die Frauen in den Reisfeldern und die Dorfältesten im Hinterland, die einer verlorenen Vergangenheit nachtrauern, mag der Tourismus nicht besonders relevant erscheinen. Aber mit vernünftigen Investitionen aus dem Ausland, einem entschlossenen Umgang mit der Korruption, einer geringeren Abhängigkeit von den großen Küstenhotels und mehr unkonventionellen Methoden in kleinerem Maßstab könnte der Tourismus das Leben in Gambia zum Besseren verändern. Aus dem Amerikanischen

von Meino Büning